Die Geschichte des Rohestheaters
Von 1991 bis heute
Alles begann anlässlich der Abiturfeier des ersten Abiturjahrganges.
Auf Anfrage des Bildungsgangsleiters wurde ich „gebeten“ zu überlegen, ob „man“ nicht etwas zur Gestaltung der Abschlussfeier beitragen könnte, und da damals meine Klasse 11 im Deutschunterricht anlässlich des Golfkrieges eigene Gedichte zum Thema „Krieg“ verfasst hatte, war die Idee einer szenischen Visualisierung einiger dieser Texte geboren. In 6 Wochen wurde die Szenerie mit einer Dauer von 20 Minuten einstuduiert. Weitere Aufführungen folgten in der Mayrischen Buchhandlung und in einem Jugendzentrum in Herzogenrath. Damit war die Theater AG der Mies-van-der-Rohe-Schule geboren.
Wir sahen von nun an die Theaterarbeit als die Erprobung neuer Formen des Lernens an einer gewerblichen berufsbildenden Schule an, in der es möglich sein sollte, Jugendliche und SchülerInnen der verschiedensten Bildungsgänge zusammenzubringen und auch für Jugendliche aus den nahegelegenen Stadtteilen ein Bildungsangebot zu bieten, das die Schule in den Freizeitbereich hinein öffnet. Im Jahr 1992 gab es den ersten Literaturkurs Theater, der mit der Theater-AG fusionierte, eine Arbeitsweise, die wir bis auf den heutigen Tag praktizieren. Aller Anfang war schwer und eine Theaterausstattung natürlich nicht vorhanden. Das neue Stück „Grotesken“ auf der Basis von Texten Kurt Schwitters fand auf dem Landesforum für Jugendarbeit an Berufsbildenden Schulen guten Anklang, wurde dann jedoch nur noch auf der Abiturabschlussfeier des Abijahrgangs 92 aufgeführt.
Mit dem Jahr 1993 begann dann unser „steiler Aufstieg“, nicht zuletzt auch deshalb, weil im Rahmen der Neubaubeschaffungsmaßnahmen sich eine transportable Lichtanlage einstellte, die es uns nun ermöglichte, professioneller zu arbeiten. Auch war die finanzielle Hilfe der Bezirksarbeitsgemeinschaft Jugendarbeit an Berufsbildenden Schulen und der Schulleitung seitdem sehr hilfreich. Mit dem Stück „Der Besuch der alten Dame heute“ nach F. Dürrenmatt spielten wir zur Neubaueröffnung unserer Schule, dann in Bielefeld auf dem Landesforum 93 und wurden schließlich aufgrund innovativer Schultheaterarbeit zum Landesschülertheatertreffen 1993 in Velbert eingeladen. Damals etablierte sich auch das „Space“ des Ludwig Forums als unser Aachener Spielort außerhalb der Schule.
Im Jahr 1994 wurde es etwas ruhiger, mit unserem Stück „Struwwelkasper“ nach Texten aus dem „Struwelpeter“ und Handkes „Kaspar“ scheiterten wir knapp bei der Bewerbung zum „Schultheater der Länder“ in Saarbrücken und so blieben uns nur die Aufführungen in der Schule und im „Space“. In diesem Jahr erhielten wir jedoch die Bühnenpodeste, die wir seitdem vielfältig einsetzen.
Im Jahr 1995 gelang uns dann der bis dahin größte Erfolg, wir wurden eingeladen, das Land NRW beim „Schultheater der Länder“ in Hamburg zu vertreten. Mit unserem „Nathan – Tod eines Weisen“, in der Bearbeirung des Lessingtextes durch G. Tabori, wussten wir dort augenscheinlich zu beeindrucken, das hatte man Schülern einer „Berufsschule“, die sich vor Ort zugegebenermaßen etwas urwüchsig und derb gebärdeten, nicht zugetraut.
Der Applaus jedenfalls setzte ganz zweifelnd ein, da man nicht wusste, ob man nach diesem bedrängenden Stück nicht besser still den Saal verlassen sollte. Zur Einweihung der neuen Synagoge in Aachen fand der „Nathan“ dann auch in Aachen einen würdigen Rahmen, der sich mit einer Aufführung in der ev. Kirche in Roetgen und erneut im „Space“ fortsetzte.
Im Jahr 1996 entstand unsere Groteske "Dir Minsch - ien Wetz" auf der Basis von Gedichten Ernst Jandls. Neben den obligaten Aufführungen in Aachen wurden wir zum Amateurtheatertreffen in Korbach (Hessen) eingeladen, wo wir einen der Höhepunkte und den Abschluss des eine Woche dauernden Theatertreffens bildeten. Es spielten nun auch 2 Schülerinnen des St. Leonhard Gymnasiums mit, für deren Mitwirken wir uns mit einer Aufführung an St. Leonhard bedankten. Immer wieder finden Jugendliche und SchülerInnen anderer Schulen zu unserer Gruppe und bereichern sie. Den Abschluss dieser Produktion bildete eine Einladung im Herbst nach Düsseldorf zu einer Fortbildungsversanstaltung der Landesarbeitsgemeinschaft Darstellendes Spiel NRW.
Mit dem "Woyzeck" von Georg Büchner haben wir 1997 vielleicht unser vorerst aufwendigstes Stück in Angriff genommen. Leider ist es uns jedoch diesmal nicht gelungen zum "Theater der Jugend" nach Berlin zu kommen, obwohl wir es uns besonders gewünscht hatten. Immerhin waren wir unter den letzten 20 Theatergruppen von bundesweit über 200 Bewerbungen, doch hat es für die letzten 8 halt nicht gereicht. Schade. Einladungen zum Düsseldorfer "Maskeradetreffen" und zum Internationalen Jugendtheaterfestival Frankfurt konnten uns ein wenig darüber hinwegtrösten. Dennoch sind wir gerade auf den "Woyzeck" stolz, weil er uns als Gruppe damals wahrscheinlich am meisten abverlangt hat.
Das Theaterprojekt 1998 hieß „In Sehnsucht eingehüllt“, eine szenische Visualisierung von Gedichten der achtzehnjährigen Czernowitzer Jüdin Selma Meerbaum-Eisinger. Diese Produktion entwickelte sich sehr erfolgreich, weil sie auch mit viel Reisen verbunden war. Nach einem Leseabend in der Aachener Katharienkirche ging es zuerst zur Partnerschule nach Naumburg, daneben standen unsere „auswertigen“ Aufführungen in Aachen im „Space“ des Ludwig Forums und in der Synagoge. Des Weiteren sind wir von der Korbacher Jury erneut zur Theaterwoche Korbach eingeladen worden. Danach ging es nach Soest zum Landesschülertheatertreffen, für das wir von der Jury ebenfalls nominiert wurden, nach „Der Besuch der alten Dame- heute“ 1993 die zweite Einladung. Das Schuljahr beendeten wir dieses Jahr dann in der Stadthalle Wuppertal, wo wir vor ca. 800 jugendlichen Besuchern und Teilnehmern und dem scheidendenMinisterpräsidenten Johannes Rau im Rahmenprogramm der fünfzigjährigen Jubiläumsveranstaltung der Partnerschaft NRW – Israel auftreten durften.
Im Jahr 1999 trägt die Produktion den Titel „Prima Primaten“, die Arbeit hatte es sich zum Ziel gesetzt, verschieden mediale und künstlerische Ausdrucksformen in ein gemeinsames Stück zu integrieren. Erstmals machten wir den Versuch, einen Videofilm mit dem Tanz- und Theatergeschehen auf der Bühne zu verschmelzen. Texte von Kafka, Benn, Morris, Kästner, Jandl u.a. verschneiden sich zu einer tanz- u. bewegungstheatralen, ironisch-komischen Revue, in der wir uns die Frage nach unserem menschlichen Selbstverständnis in Abgrenzung und Übereinstimmung zu unserem nahen Verwandten, dem Affen stellen.
Am 19.03.1999 waren wir auf dem Düsseldorfer Maskerade-Treffen eingeladen, dann in Korbach, im Herbst als ein Höhepunkt auf dem „Schultheater der Länder“ 1999 in Mühlhausen / Thüringen, als einzige Schule NRWs, der das im vergangenen Jahrzehnt zwei Mal gelang. Des Weiteren wurden wir zu einer landesweiten Lehrerfortbildung nach Soest eingeladen und spielten auf dem euregionalen Theaterfestival „pas de trois“ für die Region Aachen. Das war bisher wohl unser erfolgreichstes Jahr, vielleicht unser bestes Stück! Im Jahr 2000 haben wir uns vorgenommen, unsere Theaterproduktion einmal wieder an einer Stückvorlage zu orientieren. Das Stück sollte, wenn möglich, aktuell sein und zum geschichtlichen Rückblick auf das vergangene Jahrhundert taugen.
Unsere Wahl fiel nach einiger Suche auf Brechts relativ unbekannte "Turandot – oder Der Kongress der Weißwäscher". Brecht verlegt sein Szenario ins ferne China, um von dort in Anspielung auf die diversen historischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts zum Weltgeschehen Stellung zu beziehen. Die Meinung verkommt zur Ware und die Überzeugung zum Handelsgut, der Verstand dient lediglich dem Betrug und der Euphemismus wird zur dominanten zeitgenössischen rethorischen Figur, was zu unserer zeitgenössischen Situation in besonders aktueller Beziehung steht.
Unsere diesjährige Inszenierung arbeitet erneut mit einem Videofilm, der es uns ermöglicht, historisches Material als Kontext zum Verständnis des Stückes zu integrieren. Auch der Over-headprojektor dient diesem Ziel und ermöglicht zudem weitere Spielmöglichkeiten. Der Trichter als Kopfbedeckung wird zum symbolischen Requisit; einheitliche Kleidung soll für eine stilisierte, homogene Kostümgestaltung sorgen.Die Besetzung der Rollen erfolgt diesmal traditionell eins zu eins, da die Figuren in ihrer beinahe absurden Abstraktheit uns vor kein zu großes Naturalismusproblem stellen.
Das Stück war wider erwartend erfolgreich. In Zeitz wurden wir beim „Gregorius Schultheaterfest 2000“ mit dem ersten Platz ausgezeichnet. Des Weiteren erhielten wir eine Einladung zu dem unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten stehenden 21. Festivals „Theater der Jugend“ nach Berlin (endlich!?), spielten in Aachen auf den erstmals stattfinden „Schultheatertagen der Regio Aachen“ und wurden vom BKJ (Bund kulturelle Jugendarbeit) zur Weltausstellung „Expo – 2000“ nach Hannover eingeladen. In diesem Jahr ist es uns in Zusammenarbeit mit dem Kulturamt der Stadt Aachen, dem Kreis und der Theaterinitiative Akut e.V. endlich gelungen, die Schultheatertage der Regio Aachen ins Leben zu rufen, so dass sich unsere Aktivität ausweitet und die Gefahr droht, dass die Arbeit überhand nimmt.
Im Schuljahr 2001 sollte – hier in unserem Rhythmus bleibend – wieder ein eigenes Stück ohne Vorlage entwickelt werden, das den Titel: „Gen. 3,5 – eritis sicut deus, scientes bonum et malum“ erhielt.
In diesem Jahr sind wir zu den Wurzeln vertexteter menschlicher Sinnstiftung zurückgekehrt und haben uns mit der großen Dramaturgie des Buches Genesis und weiterer alttestamentalischer Texte auseinandergesetzt. Unter dem Arbeitstitel „Bilder von Gut und Böse“ beschäftigten wir uns mit biblischen Weltdeutungsversuchen des Menschen, mit denen er sich das Gelingen und Scheitern seiner Lebenszeit zu erklären versucht. Es entstand ein dramaturgischer Faden, der auf den Schöpfungsmythos, den Sündenfall, die Kain und Abel Geschichte, das Buch Jeremia, das Hohe Lied der Liebe und das Buch Hiob zurückgreift. Ergänzt werden die biblischen Texte durch thematisch verwandte Gedichte von N. Sachs, Celan und Goethe.
„Ihr werdet sein wie Gott und erkennt Gut und Böse!“ (vgl. den Titel) Im Essen vom Baum der Erkenntnis liegt das Geheimnis menschlicher Tragik begründet. „Verführt“ von der Misstrauen gegenüber dem göttlichen Gebot säenden Schlange erkennt der Mensch seine „Nacktheit“, spürt und sieht er ängstlich die Gegensätzlichkeit des Seins, in der er sich befindet und die ihm vormals die tragende Hand Gottes zusammengehalten hatte. Nun steckt er in der Widersprüchlichkeit des Daseins, vor der ihn das Gebot, nicht vom Baum der Erkenntnis essen zu sollen, bewahren wollte. Jetzt aber beginnt für den Gott „Ebenbildlichen“ eigentlich auch erst seine Geschichte, die eine ausweglos erscheinende Geschichte der Suche nach sich selbst und der verlorenen Nähe Gottes sein wird und in der er ohne göttliche Erlösung an kein Ende kommt. Nelly Sachs Gedicht „Ausgeweidet die Zeit“ bündelt zum Schluss das Geschehen in eine Ahnung von Hoffnung, die der Textauszug aus dem Buch Hiob –gegen alle, auch göttliche Widerstände- als Gewissheit verkünden wird.
Wir arbeiteten mit Äxten und Spiegeln als Spielgegenständen. Das Medium Film und Elemente des Tanz- und des Bewegungstheaters sollten helfen, uns dem Thema auf unterschiedlichen Wegen zu nähern.
Mit „Gen. 3,5“ durften wir neben unseren Aufführungen in der Schule erneut bei dem Düsseldorfer Schultheaterfestival „Maskerade“, im Space des Ludwig Forums, bei der „Theaterwoche Korbach“, beim 17. Landesschülertheatertreffen, dem Treffen der Schulkultur NRW, dem Berliner Wissenschaftssommer und bei der ersten Aachener „Nacht der offenen Kirchen“ auftreten. Hierbei war der Auftritt in der Aachener Nicolauskirche der erste große in einer Kirche und deshalb von besonderer Bedeutung, da sich der Gehalt des Stückes dazu aufdrängte, in einem sakralen Raum gespielt zu werden. Mit „Gen. 3,5“ haben wir uns erneut auf einen neuen Weg gemacht und ein ungewöhnliches Stück entwickelt, dessen Wirkung vielleicht z.T. umstritten, auf jeden Fall jedoch nachhaltig gewesen ist.
Die Spielzeit 2002 bringt uns ein Jubiläum, mit dem „Galilei“ nach Brecht haben wir unsere zehnte große
Produktion auf die Beine gestellt. Dazu passend gibt es (endlich) eine Ehemaligengruppe die unter dem
Namen rohestheater Taboris „Jubiläum“ auf 40 qm² Glasscherben spielt, ganz nach unserem Motto:
„Theater muss weh tun!“
Das vergangene Schuljahr war ein „Erntejahr“ für die Theaterarbeit an der MVDR!
10 Jahre Theater! Jubiläum!
Zehn Jahre Jugend- und Schultheater auf anspruchsvollem Niveau, und immer wieder neu die Angst, es nicht mehr zu schaffen, so beginnt traditioneller Weise in den letzten Jahren die Theatersaison. Da steht ein riesiger Berg vor uns, den wir bewältigen sollen, doch hängt es nicht allein von uns ab, sondern vor allem vom Mittun der SchülerInnen. Und obwohl es so viele Höhen und Tiefen gibt, zuletzt kann man sich auf sie doch immer wieder verlassen. In diesem Jahr hatten wir uns zum zehnjährigen Jubiläum besonders viel vorgenommen, erstmals sollten zwei Inszenierungen erstellt werden. Wie kam es dazu? Auf der alljährlichen Theaterabschlussfete vor den Sommerfereien, zu der auch immer einige Ehemalige erscheinen, wurde erneut über eine Ehemaligengruppe nachgedacht, doch diesmal wurde es wirklich ernst: Endlich Taboris „Jubiläum“ zum Jubiläum! Unterdessen erarbeiteten die gegenwärtigen SchülerInnen, auch besetzt mit liebenswerten Ehemaligen, Brechts „Galilei“. Die parallelen Proben, die vielen Freitage und Wochenenden haben uns ganz schön geschlaucht, aber ohne Anstrengung schmeckt das Leben fad... Bei aller Anstrengung sollte aber auch das gemeinsame Feiern nicht zu kurz kommen, in diesem Jahr gab es eine Jubiläumsfete, zu der mehr als achtzig ehemalige und gegenwärtige Schauspieler z.T. aus ganz Deutschland anreisten. Für Wilfried Schumacher und mich ein wunderbares Wiedersehen! Der Älteste der Ehemaligen, die sich erst „Theater Punkt“ und nun, da der Name schon vergeben war, „rohestheater“ nennen, heißt Michael Vonderbank und stammt noch aus der ersten Besetzung der ersten großen Produktion „Der Besuch der alten Dame heute“ von 1992/93. Die anderen,
Carlo Blatz, Sussan Beigi, Philipp Fröhlig, Elena Kreimermann, Udo Sistermann und Robin Thevis waren zu verschiedenen Zeiten an unterschiedlichen Stücken beteiligt. Die gemeinsame Probenwoche in den Osterferien in der „Casanuova“ in der Toskana wird allen wohl in nachhaltiger Erinnerung bleiben, so entspannt haben wir selten so produktiv gearbeitet. Die hieraus resultierenden Aufführungen in unseren „Schulkatakomben“ auf 40qm² Glasscherben haben sich dem ein oder anderen Zuschauer sicherlich auch nachhaltig im Gedächtnis eingeprägt. Der Auftritt in der alten Fabrikhalle bei Korbach bildete dann einen entscheidenden Höhepunkt für uns und das Festival. A propos Tourneetheater: Ohne die auswertigen Aufführungen vor „fremdem“ Publikum wären wir nie so weit gekommen, sie bilden Ansporn und bieten den dringend nötigen Austausch mit andern Interessierten am Theater. Gleichzeitig bringen sie die Gruppe zusammen, lassen (meistens) ein Wir-Gefühl entstehen. Dass wir in diesem Jahr auch mit dem „Galilei“ in Korbach spielen durften, bildete ebenfalls ein Novum und zeigt die Qualität der Arbeit. Der „Galilei“ wurde neun mal gespielt, „Jubiläum“ bis heute acht mal. Für „Jubiläum“ folgen noch Auffürungen in Aachen im Theater 99 am 2.11.02 und beim internationalen Theatertreff Lörrach am denkwürdigen 9.11. zum Festivalschluss.
Im vergangenen September machte sich die um 8 Personen umbesetzte Galileigruppe (ebenfalls ein Novum) auf zu einer „Tournee“ nach Rumänien - wieder ein Novum. Zusammen mit den „Treuesten“ der KFZ-Abteilung unter tatkräftigem Anschieben Rolf Igels und der liebenswürdigen, nachrechnenden Mitarbeit des Refrendaren Martin Rust fuhren wir - auch noch unsere Partnerschule aus Naumburg/Zeitz in Nürnberg einladend - 27 Stunden im nun vollbesetzten Bus nach Temeswar, wo wir am Deutschen Staatstheater spielen durften, während die Berufsschüler in den Betrieben und Schulen in Caransebes ihr Projekt durchführten. Gemeinsam ging es dann drei Tage später nach Hermannstadt in Siebenbürgen, wo wir vor überfülltem Haus im Gongtheater spielten. Hier begrüßte uns eine wunderschöne Stadt, die von oben bis unten mit dem Plakat der Aufführung der MVDRS beklebt war, wieder ein Novum. Ein kurzer Abstecher zu einer Waldorfschule für Romakinder in Rothberg hat allen dann zutiefst die Armut und den Frohsinn dieser Menschen und den eigenen Wohlstand vor Augen geführt, so dass aus spontaner Hilfsbereitschaft heraus ein dringend benötigter Brunnen in Zukunft den Namen der MVDRS tragen wird, da u.a. die Ehemaligen ihre bisherigen Einnamen dafür gerne spendeten! Ein soziales Projekt, das der Theatergruppe eine vertiefende Perspektive ihres Tuns ermöglicht.
Zu den Stücken:
Galilei
Mit dem Satz „Wir stehen wirklich erst am Beginn.“ endet Brechts Drama. - Recht sollte er behalten, bedenkt man z.B. die zukünftigen, womöglich irreversiblen Manipulationen am menschlichen Genom, die uns aufschrecken lassen. Oder betrachtet man den aktuellen religiösen Fundamentalismus, der seinen Grund in der Heimatlosigkeit des neuzeitlichen Menschen hat, lässt Brecht Galilei dazu sagen: „Die Himmel, hat es sich herausgestellt, sind leer. Darüber ist ein fröhliches Gelächter entstanden.“ (1.Bild). Hier finden sich gegenwärtige Bezüge zu unserem Stück. Der „Galilei“ ist vielleicht Brechts „Lebenswerk“, immerhin arbeitete er an ihm von 1938 bis zu seinem Tod 1956 und erstellte drei Fassungen, die eine Wandlung der Hauptfigur vom Helden zum Antihelden beschreiben und sich an den jeweiligen zeitgenössischen Ereignissen orientierten. Der Held der neuzeitlich-naturwissenschaftlichen Aufklärung - ursprünglich gegen den Dogmatismus der Kirche gewendet - wird zum skrupellos-technischen, egoistischen Wissenschaftler, mit dessen Forschung das neue, materialistische Zeitalter Einzug hält und der laut und ebenfalls dogmatisch in der Figur des Andrea sein Credo einfordert: „Die Wissenschaft kennt nur ein Gebot: den wissenschaftlichen Beitrag.“ (14. Bild). Die diesjährige „Galilei“ Inszenierung knüpft an die vorherige „Gen 3.5“ an und versteht sich als deren Fortsetzung. Vom „Baum der Erkenntnis“ zur Erkenntnis des heliozentrischen Weltbildes ist kein langer Weg, er geht einher mit dem Verlust des Gefühls für die „Heiligkeit“ des Lebens. Unsere alte Bühne, eine von Höhlenmalerei geprägte erdfarbige „Weltscheibe“ hat sich in ein Neongrün verwandelt, die Atmosphäre wird futuristisch- künstlich, Plastik als Ausdruck menschlicher „Schöpfungskraft“ hält Einzug, der „Riss“, der die Bühne in zwei Hälften teilte, ist schärfer geworden, so dass die Balance zu halten schwerer fällt. „Jubiläum“ Ein Schrei nach Leben – kein Grund zu feiern?
Jubiläum
Mit dem Stück „Jubiläum“ kehrt G. Tabori zu den Wurzeln des Theaters als religiöser Kulthandlung zurück und feiert für und mit den Zuschauern auf dem „Friedhof“ ein tragisches Fest des menschlichen Lebens.
Die nationalsozialistische Lebensvernichtung ist im heutzeitigen (Welt-) Gedächtnis zu einer Art pseudoreligiösem Ereignis herangereift, in dem wir unseren Weltschmerz wie in einem Tabernakel aufzubewahren versuchen. Als „schützenswertes Weltkulturerbe“ wird die millionenfache Vergasung unterschiedlichs-ter Menschen zu einem der letzten Tabus sakralisiert. Tabori bricht dies in seinem Stück „Jubiläum“ in der jüdischen Tradition - mit dem Entsetzen Scherze zu treiben - und ermöglicht so Schauspielern und Zuschauern die Katharsis.„Entheiligt“ wird das damalige Geschehen uns heute zu einem existentiellen Nachvollzug, der auf Schuldsprüche verzichtet und uns die unentrinnbare Tragik menschlichen Seins auch von ihrer komischen Seite vor Augen führt. Im hoffentlich authentischen Spiel wird der Schauspieler zum Mittler. Wir durchleben sinnlich erfahrbar – mitleidend – die paradoxe Verfasstheit unseres Daseins und können so mit ihm kurzzeitig - Erlösung ahnend - Frieden schließen.Der Bach-Choral „Den Tod niemand zwingen kunnt“ wird in unserer Inszenierung zum Leitmotiv. Wenn Tabori am Ende des Stückes die Schauspieler miteinander das Brot brechen lässt, wird vielleicht verständlich, warum wir hier J.S. Bachs „Ciaconne“ für Violine und seinen Choral „Christ lag in Todesbanden“ für 4 Stimmen zu Gehör bringen.
Nachdem wir im letzten Jahr zum zehnjährigen „Jubiläum“ unserer Theatergruppe gleich zwei Stückvorlagen inszenierten, musste – hierin unserer Tradition folgend – in diesem Schuljahr wieder eine Eigenproduktion her. Das Theaterstück der Schultheatergruppe lautete im Jahr 2003 „blau“ und folgt einem experimentelleren Ansatz. Zuerst gab es nur das Thema: „blau“. Aber wie spielt man eine Farbe? Wie kann hierzu eine Geschichte entstehen?
Aus einer Vielzahl von Texten, die in den unterschiedlichsten Zusammenhängen die Farbe blau nennen oder thematisieren, haben wir uns während des Probenprozesses auf eine kleine Auswahl beschränkt. Ausprobieren und Verwerfen sind die Grundmuster unseres Arbeitens. Unser Spiel entsteht nur langsam, Stück für Stück. Die erwählten Texte sind überwiegend bildhaft, die Szenen, die sich entwickeln, werden selbst wieder zu Bildern. Doch wie entwickelt man einen Zusammenhang, wie entsteht ein „blauer Faden“? Diese Fragen begleiten uns während der Arbeit und unser Produkt wird für den Zuschauer vielleicht mehr Fragen aufwerfen als beantworten. Mit der Zeit lernen wir jedoch: Auch eine Farbe, lediglich ein kleines kurzwelliges Lichtspektrum, vermag uns in unsere(-r) existentielle(-n) Sinnsuche zu (ver)führen. Diese Hoffnung hat sich für einige Betrachter erst beim zweiten Besuch erfüllt. Die Aufführung wurde auf der Düsseldorfer „Maskerade“ und der Theaterwoche Korbach intensiv nachbesprochen. Diejenigen, die eine stringente Geschichte erwartet hatten, wurden von der zum Teil assoziativen Verknüpfung überfordert. Aber hierin lag u. a. gerade der Versuch, eine Farbe multimedial und theatral zu präsentieren. Wenn ein Bild sich dem Betrachter beim Hinsehen gleich eineindeutig erschließt, sprechen wir in der Malerei z.B. oftmals ironisch vom „röhrenden Hirschen“, einer naturalistischen Idylle. Die können wir mit unserem Stück sicherlich nicht bieten... Offensichtlich hat unsere Produktion „blau“ jedoch einen Teil der Zuschauer überfordert, ihr geäußertes Unverständnis mussten wir - wie auch die bisher unsachlichste Kritik einer Korbacher Zeitung in 12 Jahren - Verständnisvoll zur Kenntnis nehmen. Die mit Abstand besten Aufführungen konnten zum Abschluss im „space“ des Ludwig Forums miterlebt werden, wie so oft war hier Einsatz und Routine in ausgewogenem Verhältnis zueinander, so dass es richtig Spaß gemacht hat, die Produktion zurückgelehnt genießen zu können.
Nachdem der Spielleiter in diesem Jahr von der selben gefallen war und drei Wochen stationär behandelt werden musste, übernahm seine Frau dankenswerterweise die Betreuung von zwei Schulaufführungen und zwei Aufführungen von „Oh, wie schön ist Panama“, der zweiten Produktion des rohestheater Aachen im Jahr 2003. Ein Zweipersonen Stück zwischen der achtzigjährigen Heiminsassin Erna Roder, gespielt von der gleichnamigen Achtzigjährigen, und ihrem Pfleger Herrn Udo, unserem langjährigen Ensembelmitglied Udo Sistermann. Janoschs Kinderbuch kam hier für Erwachsene und Kinder auf die Bühne. Seine Parabel von der im Kreis verlaufenden Sinnsuche im menschlichen Leben, die sich, weil sie zu menschlichen Begegnungen führt, gerade in diesen erfüllt, wurde von uns in ein Altenheim verlegt. Bei der Vorbereitung auf das Frühstück findet in irgendeinem deutschen Altenheim eine merkwürdige morgendliche Zeremonie statt. Beim Waschen und Anziehen spielt der Aushilfspfleger Herr Udo mit der achtzigjährigen Bewohnerin Frau Roder die Geschichte „Oh, wie schön ist Panama“. Beide kennen den Text mittlerweile auswendig und machen sich im ritualisierten Rollenspiel auf die Suche nach dem möglichen Sinn ihres Lebens. Während der alten Dame rückblickend assoziative Erinnerungen beim Spiel einfallen, stellt sich für den jungen Pfleger die Frage nach seiner Zukunft. So wird „Panama“ zum Inbild eines Lebensziels, das man rückblickend und vorausschauend letztlich nur bei sich selbst zu finden vermag, weshalb der kleine Bär auch zu Beginn der Reise zu dem Schluss kommt:
„Wenn man den Weg nicht weiß, braucht man zuerst einen Wegweiser“
Das Stück setzte in seiner Besetzung bewusst auf Laien, die aus ihrem persönlichen Erfahrungsschatz heraus ihr Spiel versuchten. Es richtet sich an Groß und Klein und hat hierbei auch besonders die Senioren im Blick, weshalb wir es auch in mehreren Altenheimen aufführten. Die Spontaneität in den Reaktionen der alten Leute war interessant zu beobachten, hierin unterschieden sie sich kaum von den Kindern. Das Experiment hat allen Beteiligten, jedem auf seine Weise, gut getan und wurde das lange geforderte „Kindertheaterstück“.
Wie in den letzten beiden Jahren, so ist es uns auch im Jahr 2004 erneut gelungen, mit ehemaligen Theaterschauspielern unter dem Gruppennamen rohestheater euch / Ihnen eine weitere Produktion präsentieren zu können, die unsere Schulkultur bereichern soll. Das zeitgenössische Debütstück "girlsnightout" der jungen, preisgekrönten Autorin Gesine Danckwart behandelt die Identitätssuche junger Frauen in unserer Zeit auf humorvoll-hintergründige Art und Weise. "Für drei Schauspielerinnen"
heißt es in der einzigen Regieanweisung des Stückes, das keine Rollenverteilung kennt, sondern es der Regie überlässt, aus der Ansammlung von Phrasen, Zitaten und Dialogbausteinen jeweils eigene Rollen zu entwickeln. Die drei Studentinnen Sussan Beigi, Elena Kreimermann und Sarah Mertes stellen einen jeweils eigenen Frauentyp dar. In der künstlichen Atmosphäre eines Fitnessstudiozimmers geht es nun richtig zur Sache. "...und schlucken muss man doch so einiges" - scheinbar unendlich quasselig geht es über das eine Thema, Sex und Liebe, das sich in folgenschweren Sätzen äußert wie: "Theoretisch weiß ich genau, wie man Herzen gewinnt, praktisch hapert es dann daran, dass einfach keine frei sind." und
"Mein Herz ist so groß, aber für mich selber ist nicht genug Platz drin". "Eine Nacht ist doch verloren, wird sie nicht zu zweit verbracht", denken sich die Singles und starten durch zum gemeinsamen warm-up für den Partyabend. "Was zieh ich heut bloß an?" ist eine der größten Sorgen. Doch das Lachen bleibt nicht nur den Schauspielerinnen im Halse stecken. Im aufkommenden Mitgefühl des Zuschauers gegenüber der Hilflosigkeit und Einsamkeit der dargestellten Personen gelangt unterschwellig zu Bewusstsein, dass - wenn man genau hinhört - das plappernd assoziative „Dämlichdeutsch“ der drei jungen Frauen eine ungeahnte Hintergründigkeit enthält.
Interessant war, dass in diesem Jahr das Stadttheater ebenfalls "girlsnightout" zeigte und wir uns gegenseitig besuchten. Während wir mit den Ehemaligen -entgegengesetzt zur Arbeit mit den SchülerInnen- auf die Ausarbeitung verschiedener Charaktere Wert legten, arbeitete das Stadttheater mit den stilisierenden Mitteln, die wir sonst im Schultheater verwenden. Auf besonderen Wunsch des Kurratoriums der Theaterwoche Korbach durften wir dort 2004 gastieren. Nach sieben Aufführungen waren wir aber erst mit uns zufrieden, ein Grund mehr, "girlsnightout" auch in Zukunft weiter spielen zu wollen, soweit das die Besetzung zulässt, da Sarah mitlerweile in Potsdam studiert.
Obwohl in diesem Jahr, hierin unserem langjährigen Rhythmus folgend, eigentlich die Bearbeitung einer
Stückvorlage wieder angestanden hätte, haben wir uns, aus aktuellem Anlass, aber um es auch einmal anders zu machen, für eine neue, weitere Eigenproduktion mit dem Titel "Deutschland im Fett" entschieden. In diesem Jahr feiern wir das 50. Jubiläumsjahr des erstmaligen Gewinns einer Fußballweltmeisterschaft durch die damals noch junge BRD. Ein Anlass dankbar Rück- und Ausschau danach zu halten, was seitdem geschehen ist bzw. noch geschehen könnte. Die Textzusammenstellung mag auf den ersten und zweiten Blick merkwürdig erscheinen, was haben historische Texte aus den Anfängen des deutschen Fußballs, debile Fußballerzitate, Gedichte von Heinz Erhardt, eine Bildergeschichte von Wilhelm Busch, blumenreich – sorgenvolle Zitate eines ehemaligen Bundespräsidenten und derzeitigen Kommissionsvorsitzenden sowie Märchen der Gebrüder Grimm gemeinsam? Wir meinen: ihre fette Aktualität, die womöglich erst auf den dritten Blick plausibel wird. Wenn schon durch Deutschland ein „Ruck“ gehen soll, dann interessiert uns doch u. a. auch, wer bei diesem Tauziehen womöglich auf die Nase fällt. Da wir uns in Deutschland befinden, ist das immer die große Masse, denn bei der ist am leichtesten das große Geld zu holen. Es hat in Deutschland eine lange Tradition – vielleicht unterbrochen durch ein paar „dekadente“ Jahrzehnte Nachkriegsgeschichte, dass noch immer die den Gürtel enger schnallensollten, bei denen er schon im letzten Loch steckt, während die Speckbäuche ihre Waagen nicht einmal mehr dezent aus den Fenstern schmeißen, um an Gewicht in „Notzeiten“ noch zuzulegen. "Deutschland im Fett" war für uns in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung. Der technische Aufwand war enorm, durch das neue Traversensystem können wir nun erstmals eine eigenen, abgeschlossenen Bühnenraum gestalten. Die Laufstegbühne war für unsere Technik ihr Meisterstück. Auch die Videoproduktion mit zwei Beamern, die eine Art Stadionatmosphäre erzeugen sollte, war ein Novum. Mit "Deutschland im Fett" haben wir uns an ein für uns neues Genre gewagt, eine Art "Kabaretttheater", das uns als besonders geeignet erschien, auch politsch arbeiten zu können. Das "Theater der Jugend" in Berlin nahm uns mal wieder in seine Endausscheidung, ließ uns dann aber doch wieder fallen, dafür waren die beiden Korbacher Aufführungen ein desto größerer Erfolg. Selten war für Wilfried und mich die Arbeit angenehmer, die Gruppe zeigte ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl, eigenständiges Engagement Kompetenz und viel Spielfreude.
Danke!
Endlich Kindertheater! Im Jahr 2005 haben wir erstmals den langgehegten Wunsch nach einem Kindertheaterstück mit Amerika ist rund in die Tat umgesetzt.
Wir wollten den Versuch unternehmen, ein Kindertheaterstück für jung und alt zu entwickeln. Hierzu haben wir uns Peter Bichsels Kindergeschichten zum Gegenstand gewählt. Einerseits ist es reizvoll Prosa zu dramatisieren,andererseits entsteht für uns das Problem, wie man drei Erzähltexte auf unterschiedliche Weise auf die Bühne bringt, ohne sich dabei in der Erzähl- und Spielform dauerhaft zu wiederholen. Bichsels "Kindergeschichten" sind Parabeln, Parabeln vom Eigensinn. Sie versuchen die Welt, indem sie sie in kindlich - anarchischer Versteigung beim Wort nehmen, vertiefend zu verstehen. Gerade ihre Zeitlosigkeit birgt die Möglichkeit zum Zeitbezug, der dann auch politisch ist und auf unsere Gegenwart sein eigenes, enthüllendes Licht wirft. Gegenwärtige Medienmanipulation und Propaganda werden so nahezu zwangsläufig zum Thema. Der naive, entwaffnende Ton des Erzählers formuliert offen, dass seine Erzählungen auch auf Vermuten und auf Lügen gründen, so dass er hier ausdrücklich die alte, immer wiederkehrende Frage nach der Wahrheit aufwirft.
"Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgendein Mensch ist oder zu sein
vermeinet, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter sie zu
kommen, macht den Wert des Menschen. Denn nicht durch den Besitz, sondern
durch die Nachforschung der Wahrheit erweitern sich seine Kräfte..."
(Gotthold Ephraim Lessing)
So viele Aufführungen haben wir von einem Stück noch nicht durchgeführt, allein im Korbach drei Mal! Erstmals spielten wir vor Grundschul- und Realschulklassen. Die Nachbesprechungen mit den Kindern hatten hier ihren besonderen Reiz und konnten unseren Zugang zu dem Genre "Kindertheater" als Erfolg bestätigen. Darüber hinaus durften wir wieder auf der tollen "Maskerade" in Düsseldorf spielen und uns wählte die Jury des "Schultheaters der Länder" zum Vertreter NRWs in Pirmasens. Dort wurden wir als eine der drei bundesweit repräsentativen Gruppen ausgezeichnet und von der BAG und der Körberstiftung deshalb mit "Amerika ist rund" im Focus Schultheater 05 dokumentiert. Darüber hinaus erhielten wir den Herwig Blankertz-Preis für Jugendbildung 2006. Zu den besonders geehrten Schülern der Stadt Aachen wurden im Jahr 2005 unsere Eifel-Techniker bestimmt, zu recht. Sie waren die beste Technik, die wir bisher hatten! Das führt zum leidigen Thema Aufwand. Der wird von Jahr zu Jahr leider größer, auch wenn es sich oftmals nur um so unscheinbare Gegenstände wie selbstgefertigte Sitzreihen handelt. Unser Bemühen, eine einheitliche Bühnenlandschaft zu gestalten, ist uns mit "Amerika ist rund" in diesem Jahr besonders gelungen. Danke Wilfried!!! Haben wir die letzte Gruppe besonders gelobt, müssen wir in diesem Jahr die Gruppe noch mehr loben... Es war wunderschön! Die Eigenständigkeit der Beteiligten war herausragend, die Spielfreudeeinfach schön. Zwischen Ehemaligen und Schülern fiel kaum ein Unterschied auf. Den Arbeitsprozess hat erstmals in diesem Jahr unser neuer Kollege Nils Kaletsch über das Schuljahr hin begleitet.
Danke Nils!
In diesem Jahr unternahmen wir auf der Basis einer Textcollage den Versuch, einen eigenen „Mephisto“ zu entwickeln. Hierzu verwenden wir literarische Texte von Pfeffel, Goethe, Baudelaire, Kafka, Brecht, Fried und Hochhuth, Auszüge aus der Apokalypse des Johannes, dem Exorzismus und dem Hexenhammer, darüber hinaus wirtschafts-wissenschaftliche und eigene Texte. Herausgekommen ist dabei eine Annäherung an das Phänomen des Bösen als wesentlichem Teil menschlicher Identität, die auf der Erde zwischen Himmel und Hölle hängt. Der Publikumszuspruch war sehr gut, viele Zuschauer waren nachhaltig beeindruckt und sahen sich die Aufführung mehrmals an. Auch außerhalb Aachens war die Resonanz sehr positiv, in Korbach durften wir die Theaterwoche 2006 mit einer nachhaltigen Diskussion zum Inhalt und der ästhetischen Umsetzung als ein Höhepunkt der Woche beenden. Darüber hinaus wurden wir zum neu ins Leben gerufenenLandesschülertheatertreffen "Maulhelden" nach Düsseldorf eingeladen, wo wir das Festival beschließen durften.
Im Jahr 2006 gelang es uns erneut, neben der Schultheaterproduktion Mephisto auch wieder eine
Ehemaligenproduktion, das ungewöhnliche Stück "Wie man Wünsche beim Schwanz packt" von Pablo
Picasso auf die Bühne zu bringen.
Entstand innerhalb von drei Tagen im Januar 1941. Pablo Picasso ließ sich weitgehend von der surrealistischen Technik des automatischen, assoziativen Schreibens leiten. Sein erklärtes Ziel war es „Worte ohne Rücksicht auf ihre Bedeutung“ zu gebrauchen. Trotzdem bleibt sein Theaterstück nicht bedeutungslos. Vor dem Hintergrund der deutschen Besatzungszeit, winterlicher Kälte und zerbrechender Beziehungen wird die Suche nach neuen Formen des Lebens und Liebens zum zentralen Motiv. „Wenn Picasso über seine Dichtung spricht,pflegt er mir zu sagen, er wolle eigentlich nicht etwas erzählen oder Empfindungen beschreiben, sondern sie durch den Wortklang suggerieren: Die Worte werden von ihm nicht als Ausdrucksmittel verwandt, vielmehr erklären sie sich von selber, ebenso wie er zuweilen die Farben auf die Leinwand setzt, ohne einen erzählenden Zweck damit zu verfolgen, das heißt, ohne die Form eines realen Gegenstandes nachahmen zu wollen.“ (Jaime Sabartés) Auf der Grundlage der wortgewaltigen deutschen Übersetzung von Paul Celan unternahmen wir mit unserem Spiel den Versuch, zu zeigen, dass sich in den scheinbar sinnleeren Wortwelten Picassos mehr verbirgt als nur eine absurde Farce ohne Inhalt.
Mitgewirkt haben:
Der Plumpfuß: Carlo Blatz, Die Zwiebel: Sussan Beigi, Die Torte: Sarah Mehlfeld, Die Kusine: Elena Kreymerman, Das Klümpchen: Hossein Asgari, Die fette Angst: Iwen Kobow, Bühnenbau und Technik: Wilfried Schumacher, Licht und Ton: Jens Hoffmann, Kai Koerffer, Jan Winkler.
Im Jahr 2007 wurde nicht nur der Picasso in Korbach gespielt, sondern auch unser Schultheaterstück Jim Knopf oder... Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?, erneut "Kindertheater" das sehr erfolgreich war, und so oft gespielt wurde,wie bisher keines zuvor. Einladungen zur Maskerade nach Düsseldorf, zur Theaterwoche Korbach und zum Theater der Jugend nach Berlin waren der verdiente Lohn für eine anstrengende, intensive und schlüssige Arbeit, in der wir erstmals eine Theaterform ausprobierten, die nahe dem Boulevardtheater war! Aus dem Programmheft: "Michael Endes Geschichte „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ ist nach dem Muster des klassischen Abenteuerromans aufgebaut: Eine Problemsituation führt zum Verlassen der Heimat, es beginnt eine Odyssee durch fremde Länder in denen die Helden existentielle Abenteuer bestehen müssen, um andere zu retten. Dabei wird ihnen Fremdes vertraut, werden Sichtweisen erneuert und ungeahnte Lösungswege tun sich auf. Nach geglückter Fahrt und erworbener Reife erhalten sie so das Recht zur Rückkehr in ihre Heimat. Für uns ist Jim Knopf in der letztlich noch jungen Geschichte der BRD einer der ersten und populärsten Schwarzen, die in einer globalisierten Welt an fremden Stränden stranden. Lummerland ist um die Ecke, vor der Haustür, in unseren Schulen, nebenan. Deswegen wollen wir mit unserem diesjährigen indertheaterstück „Jim Knopf oder... Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“ uns und unser Publikum auf das Schicksal von in Aachen, Deutschland und Europa legal wie illegal lebenden Flüchtlingen aufmerksam machen. Aus diesem Grund haben wir Kontakt zur Aachener Iteme-Gruppe aufgenommen, einem Modellversuch, in dem z. T. von Abschiebung bedrohten jungen Flüchtlingen an der VHS die Gelegenheit gegeben wird, einen Schulabschluss zu erwerben, welcher ihnen bessere Chancen sowohl in Deutschland, wie – bei einer Abschiebung – in ihrer alten Heimat eröffnet. Ihre kurzen Lebensgeschichten erscheinen z. T. im Stück und werden ergänzt durch Lebensgeschichten von einzelnen unserer Schauspieler mit Migrationshintergrund, die von ihrer Herkunft, Ankunft und Zukunft berichten.Bei der Vielzahl der im Meer ertrinkenden Flüchtlinge und der den Durchgekommenen drohenden Abschiebung stellt sich uns die Frage, wie viele dieser Odysseen enden ähnlich glücklich wie die Jim Knopfs?" Dieses politisch ambitionierte Stück versuchte den Bogen zwischen dokumentarischem und fiktionalen Theater zu spannen und hat Jung und Alt als Adressaten; gerade die Aufführungen für Kinder haben uns gezeigt, wie oftmals anders und eigen sie die Theaterwelt sehen. Viele schöne Erinnerungen werden hier im Gedächtnis bleiben. Dass die komplette Gruppe zusammen mit Schauspielern vom Berliner Grips-Theater an einem SIT-IN vor dem Brandenburger Tor teilnahm und dort gegen das neue Gesetzesverfahren der Regierung und für das Bleiberecht langjährig in Deutschland lebender Flüchtlinge protestierte, war für mich einer der Höhepunkte des Theaterjahres und eine logische Konsequenz aus der Intention des Stückes! Für die meisten der Beteiligten war es die erste Teilnahme an einer Demonstration. Besonderer Dank gilt in diesem Jahr nicht nur Oliver und Marcel, die es noch einmal auf die Bühne trieb (und ohne die es auch nicht hätte so gut werden können), sondern auch Iwen und Sarah, die in der Regie sehr hilfreich und immer anwesend waren und zusammen mit Wilfried und mir ein sehr gutes Leitungsteam bildeten!
Im Jahr 2008 stand Becketts bekanntestes Stück mit dem varierten Titel Warte auf Godot! auf dem Programm. Lange schon wollten wir das spielen. Unsere Herangehnsweise auf der Suche nach Aktualisierung blieb zwar nicht unwidersprochen, regte so aber einige Diskussionen an, so wurde Beckett jedenfalls bestimmt noch nicht gespielt.
Als Erläuterung hierzu der Programmhefttext:
Becketts „Warten auf Godot" aus dem Jahr 1952 ist ein Klassiker der Moderne. Zwischen-zeitlich etwas
angestaubt, erlangt er heute, in Zeiten aufblühenden Fundamentalismus, wieder an Aktualität.
Der Titel beinhaltet sowohl das englische Wort „God" als auch das deutsche Wort „Tod". „God" steht für die menschliche Sinnfrage, der „Tod" für die Existenzfrage. Von diesen beiden Grundfragen kommt auch der moderne Mensch, kommen Wladimir und Estragon trotz der Auflösung religiös-kultureller Bindungen nicht los.
In unserer Inszenierung leben beide auf einem mit Bibelseiten beklebten, auf Rindenmulch gestrandeten Floß, das seinen Sinn, zu „schwimmen", verloren zu haben scheint. Pozzo und Lucky, angelegt an die Figuren des Endlosschleifen-Liedes: „Ein Hund kam in die Küche und stahl dem Koch ein Ei...", sind neben dem Boten Godots und dem Baum - ein verkümmerter „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse" (Gen. 2,17) - die weiteren Spiel-figuren. Mehr braucht es nicht für die Darstellung der Tragikomödie des Menschen.
Moses, der Verkünder der 10 Gebote, unternimmt im 2. Gebot, „Du sollst Dir kein Bildnis machen!" (Ex 20,4), den paradoxen Versuch, dem Volk Israel und seiner „Religion" in normativer Sprache zu sagen, dass es seine Glaubens- und Gotteserfahrung nicht zum Gottesbild erstarren lassen darf. Namen sind konkrete Benennungen, können aber auch abstrakte Bilder und Begriffe sein. Die Dinge beim Namen zu nennen (vgl. Gen 2,20) und sich ein Bild zu machen, sind wesentliche Verhaltensmuster des Menschen. Das Gebot sagt den nach Bekenntnis und einer religiösen Dogmatik Verlangenden, dass sie sich kein Bekenntnis geben dürfen, obwohl sie anscheinend ohne es nicht auskommen können. Ziel des Gebots ist es, religiösen Machtmissbrauch, der in der Vorgabe des Bekenntnisses gründet, zu verhindern. Das 2. Gebot fordert also die Gottes-Offenheit, die erst die Freiheit eines jeden Glaubenden und Hoffenden ermöglicht.
Deshalb lautet die Übersetzung des alttestamentarischen Gottesnamens „Jahwe" auch „Ich bin der ich bin da" - Beckett macht daraus „GODOT", was das Dasein auch ins Tod- sein verkehren könnte.-
So wie die Deutung dem Leben immer hinterherhinkt, so verhält es sich auch mit dem Göttlichen und seiner prophetisch und bildhaft Offenbarung. Sie entzieht sich jeder Dogmatisierung oder Verrechtlichung. In unserem Stück werden deshalb Filmausschnitte gezeigt, die das Ritualhandeln der drei geschwisterlichen monotheistischen Religionen, des Juden- und Christentums sowie des Islams, widerspiegeln. Sie stehen immer in der Gefahr, „abzusterben" (wie der Baum im Stück), also in der eigenen Dogmatik umzukommen.
Glaubensgewissheiten können auf Glaubenserfahrungen, nicht aber auf gesetzlich-normativen Festlegungen gründen, was selbst ernannte „Glaubenswächter" überflüssig macht, denn göttliche Offenbarung und Glaube bleiben stets Mysterium, sie lassen sich nicht verordnen oder „bewachen", sie können nur erlebt werden. Deshalb kann der Mensch sie zwar suchen, doch bleibt er letztlich immer nur Wartender oder Erwartender.
Das Leben will ausgehalten sein, wenn es sich offenbaren soll. Die Lebendigkeit des Lebens lässt sich nur
erleben. Selbsttötung, Märtyrertum und Kriege im Namen Gottes treffen nicht auf die Begegnung mit dem Geheimnis des Lebens, mit dem Göttlichen, weil sie nicht warten können. Für Wladimir und Estragon gibt es -Gott sei Dank- keinen passenden Strick...
Am Ende stellt sich so die Frage, ob Becketts „Warten auf Godot" nicht selbst eine Offenbarungsschrift ist?
Diese Frage haben wir dem Publikum insgesamt 15 mal gestellt. Daran kann man sehen, dass die Produktionrecht erfolgreich war. Besondere Aufführungen fanden bei uns in der Schule aus Anlass des Besuchs des Staatssekretärs im MSW Jürgen Winands statt, eine Aufführung in der Nikolauskirche in Aachen war ebenfalls ein besonderes Erlebnis, die Teilnahme an der Theaterwoche Korbach und am Landesschülertheaterfestival inDüsseldorf muss natürlich erwähnt werden.
Herausragend dann die Aufführung im Teatar Kabare´ in Tuzla, Bosnien Herzegowina, aus Anlass des
Jugend-Friedenstheaterfestival "bina mira", das wir hoffentlich durch unseren Besuch mitinizieren konnten. Unsere Interpretation von Becketts "Godot" passte genau in dieses religiös zerrissene Land und erfuhr in der anschließenden Nachbesprechung eine sehr ernste Nachbesprechung. Die Technik war einmal mehr besonders gefordert, in der kleinen Kellerbühne eine entsprechende Bühne aufzubauen, es hat -wie immer- dank Wilfried geklappt. Einen herzlichen Dank an Heinz Jussen, ohne den diese strapaziöse, aber wunderbare Reise nicht möglich geworden wäre!
Auch die Aufführung in unserer niederländischen Nachbarstadt Heerlen im Arcus College im Rahmen der
Euregionale war ein ganz besonderes Erlebnis! Hier arbeiteten wir mit niederländische Schülern zusammen, die unter professionellen Bedingungen einen Film zur Auführung anfertigten. Einen besonderen Dank an Rudi Videc und Rene Houben und die Organisatorin Jutta Kröhnert.
Aus dem Gesagten lässt sich die Arbeitsweise des rohestheater leicht herauslesen. Wir stellen uns letztlich immer die Frage: "Wer ist der Mensch?" und versuchen dazu aktuelle politische, philosophische oder religiöse Aussagenformen auf der Bühne zu finden. Der Titel der nächsten Produktion: "Das Jüngste Gericht", eine Collage, wird diese Vorgehensweise erneut bestätigen.
Im Jahr 2009 steht also nun "Das Jüngste Gericht" auf dem Programm, ein Stück mit und für
Menschenfressermenschen. Der "religiöse Firlefanz", der unseren Stücken von wohlmeinenden
Kritikern schon mal nachgesagt wird, hat also auch in diesem Jahr seine Spuren hinterlassen.
Zum Stück:
Schon von alters her sieht sich der Mensch in seinem Jagd- und Essverhalten als schuldig. Herausgefallen
aus der paradiesischen Einheit mit der Natur empfindet er sich durch sein Ich-Bewusstsein in der ihn
umgebenden Welt als fremd. Das Phänomen des Kannibalismus ist bekannt aus Mythen und Sagen, aus
Forscherberichten über Rituale weit entfernt lebender Naturvölkern oder aus medienwirksamen Skandalfällen wie dem des Kannibalen von Rothenburg. Kannibalismus: Ein Thema, dass uns nicht betrifft. Oder doch?
Rio Reiser und seine Band Ton Steine Scherben behaupten: „Menschenfressermenschen gehört fast die
ganze Welt.“ Das sehen wir ähnlich und haben uns deshalb in diesem Jahr näher mit der Frage befasst, ob die Wachstums- und Konsumgier unserer Gesellschaft nicht auch eine Art des Kannibalismus hervorruft. Wir haben uns gefragt, ob wir nicht alle routinierte und gewohnheitsmäßige Menschenfressermenschen sind, die in einer globalisierten Welt auf indirektem Wege die Lebensgrundlagen anderer Menschen verbrauchen und damit ganz konkret ihre Existenz bedrohen.
Auf der Grundlage unterschiedlicher Textmaterialien ist eine Kollage entstanden, die die Vielschichtigkeit und den hohen Verbreitungsgrad kannibalistischer Verhaltensweisen widerspiegelt. Sie tauchen nicht nur im kulturell-religiösen Kontext oder als krankhafte psychologische Störung eines Individuums auf, sondern erstrecken sich in unseren sozialen und wirtschaftlichen Alltag hinein.
Das Jüngste Gericht stellt – in seinem wörtlichen Doppelsinn – die Frage nach dem verantwortungsvollen
Umgang mit unseren Mitmenschen und mit der Welt, in der wir leben. Vor diesem Gericht stehen einerseits die täglichen Ess- und Lebensgewohnheiten unserer westlichen Konsumgesellschaft unter Mordverdacht und andererseits stellt sich dieses Gericht als Gala-Menü heraus, bei dem wir selbst das Dessert sind…
Mit insgesamt 15 Aufführungen avancierte das "Jüngste Gericht" in der Publikumsresonnance zu einem der erfolgreichsten Stücke. Die Teilnahme an der "Maskerade" in Düsseldorf, an der Theaterwoche in Korbach und beim Schultheater der Länder in Hamburg als Vertreter NRWs können das bestätigen. Dass wir am SDL teilnehmen durften, war nicht geplant, da unser Stück überhaupt nicht in das dortige Konzept passte. Da sich aber keiner in NRW fand, haben wir uns zusammen mit pocomania aus Grevenbroich beworben. Nach 1995 nach Hamburg zurückzukommen hatte schon etwas Nostalgisches. Waren wir 1995 noch mit "Nathan- Tod eines Weisen" in Hamburg Anfänger, so galten wir jetzt eher als bekannte und erfahrene Gruppe. In diesem Jahr verlässt uns Sarah leider, da sie in Bonn ihr Refrendariat durchläuft. Dafür erhalten wir in der Technik neue Unterstützung, neben Christoph Bröker arbeitet jetzt auch Jens Richardt mit, so dass wir hoffen können, vor allem Wilfried damit zu entlasten.
2010 ist das Jahr von unserer Eigenproduktion "wie ein anderer". Die Technikgruppe wird von Christoph
Bröker und Jens Richardt geleitet. An der Regie beteiligen sich Gerhard Gumprecht, Nils Kaletsch und erstmals auch Marie Joel Wolf.
Zum Stück:
Unser diesjähriges Stück ist im eigentlichen Sinne des Wortes eine Eigenproduktion. Zum einen, weil wir es selbst zusammengesetzt haben, zum anderen, weil es unser eigenes Ich zum Gegenstand hat. Anhand von Textauszügen aus Carlo Collodis „Pinocchio“ und Peter Handkes „Kaspar“ sowie selbst verfassten,
biographischen Geschichten gehen die Jugendlichen auf die Suche nach ihrer eigenen Identität. Dabei
rücken die für sie existentiellen Fragen: „Wer will ich sein?“ „Wer soll ich sein?“ „Wer bin ich?“ in den Fokus und bilden den Leitfaden des Stücks. Auf dieser Grundlage ist eine kritische, individuell geprägte und literarisch vielfältige Collage entstanden, in der wir versuchen, die von uns in früheren Stücken ausprobierten Spielformen des biographischen Theaters, des Kindertheaters und des stilisierenden Spiels miteinander zu verbinden und zu neuen Ganzen zu formen.
„Wie ein anderer“ haben wir insgesamt 12 Mal gespielt. Die Produktion wurde auf der Theaterwoche Korbach und dem Landesschülertheatertreffen „Maulhelden“ gezeigt. Die Stadt Aachen zeichnete 2010 erneut das rohestheater für besonderes schulisches Engagement aus.
Das vom rohestheater durch unsere Reise nach Bosnien-Herzegowina 2008 mitinizierte internationale Friedens- Jugendtheaterfestival „bina mira“ ist lebendig! Zwischen dem 17. Und dem 23. September haben wir in Aachen eine Woche lang das 2. Treffen mit 9 Theatergruppen, wovon drei aus Deutschland, eine aus Belgien, eine aus Luxemburg und vier aus dem ehemaligen Jugoslawien, dem heutigen Bosnien-Herzegowina, angereist waren, organisatorisch und mit unserer Technik begleitet. Sascha Baltussen und Marcel Meyer haben sich hier im Space des Ludwig Forums besonders verdient gemacht! Das Festival hat es geschafft, die unterschiedlichen Gruppen, insbesondere die bosnisch-serbischen Teilnehmer, zusammenzubringen, indem sie eine Woche lang miteinander und füreinander Theater gespielt, diskutiert und gefeiert haben. Ein Friedenstropfen im Meer immer wieder wiederkehrenden Gewalt.
Im Jahr 2011 spielten wir mit "Worte grenzen meine Welt" eine Eigenproduktion als Textcollage auf der Basis eigener und fremder Texte. Das Stück beschreibt eine Art Fortsetzung unseres vorigen Stückes "Wie ein anderer", beide Stücke sind thematisch und von der Spielweise her Geschwister.
Mit „Worte grenzen meine Welt“ - Vom Spracherwerb zum Sprachverlust unternehmen wir den Versuch, der nicht endenden Frage nachzugehen: „Wer sind wir?“ oder auch „Wer sind wir noch, wenn uns unsere Sprache abhandenkommt?“ Hierbei kommt dem „Wort“ als Ausdruck des menschlichen Bewusstseins die zentrale identitätsstiftende Bedeutung zu. Die Kollage basiert auf selbst verfassten literarischen und biographischen Texten, aus Texten des Alten und Neuen Testamentes, aus Auszügen aus Goethes Faust I und II sowie aus Gedichten und Liedern. „Worte grenzen meine Welt“ setzt auf einer Zentralbühne im direkten Kontakt zum Publikum mit Mitteln des Tanz- und Bewegungstheaters die Spannbreite von nachdenklichen bis satirisch-komischen Texten in Szene. Wir spielen im Schultheater erstmals generationenübergreifend, die Oma von Anna wirkte auf der Bühne mit, leider ist Dorothea Wüller am 3.10.2011 verstorben. Ihr Text, ein Gedicht Hilde Domins, die sie besonders liebte, bildete die Pointe unseres Stückes:
Rückzug
Ich bitte die Worte zu mir zurück
Ich locke alle meine Worte
Die hilflosen
Ich versammle die Bilder
Die Landschaften kommen zu mir
Die Bäume die Menschen
Nichts ist fern
Alle versammeln sich
So viel Helle
Ich ein Teil von allem
kehre mit allem
in mich zurück
und verschließe mich
und gehe fort
aus der blühenden Helle
dem Grün dem Gold dem Blau
in das Erinnerungslose
"Worte grenzen meine Welt" wurde insgesamt 13 Mal gespielt. Wir waren mit dem Stück auf der MASKERADE in Düsseldorf und bei der Theaterwoche Korbach zu Gast.
In diesem Jahr sind wir darüber hinaus mit einem Teil der SchülerInnen um den 21.09.2011, dem Welt-Friedenstag, für eine knappe Woche zu einem Vorbereitungstreffen von bina mira mit einem Kleinbus 1500 km nach Zrenjanin in Serbien gefahren. Unterbringung in Familien und sehr nette Begegnungen mit den Jugendlichen der örtlichen Gruppe CEKOM, mit Svetlana Tucakov und Svetlana Rackov, prägten das Treffen. Ein Theaterworkshop und offizielle Begegnungen ergänzten das Treffen. Mit von der Partie auf der organisatorischen Seite waren Karl Heinz Jussen, Jürgen Hohlfeld und Ursula Best. Im nächsten Jahr soll bina mira in Banja Luka, im serbischen Teil Bosnien-Herzegowinas stattfinden.
Im Jahr 2011 spielten wir mit "Worte grenzen meine Welt" eine Eigenproduktion als Textcollage auf der Basis eigener und fremder Texte. Das Stück beschreibt eine Art Fortsetzung unseres vorigen Stückes "Wie ein anderer", sie sind thematisch und von der Spielweise her Geschwister.
Fortschreibung folgt.
Unsere Arbeit hat all die Jahre Herr Schumacher auf vielfältige Weise begleitet, er ist zu der wesentlichen
Institution der Theaterarbeit an der Mies-van-der-Rohe-Schule geworden und wir sind sehr froh darüber,
einen solchen Hausmeister in unserer Mitte zu haben. Oliver Bachmann gehört ebenfalls als Pfleger der
Internetseite zum Zentrum des rohestheater, dem wir hier einmal ausdrücklich danken!
In all den Jahren hat uns unser Schulleiter Reinhard Hentrup mit großem Interesse und Engagement
unterstützt und gefördert. Darüberhinaus gilt unser Dank Ralph Borges, der uns im Namen der BAG für
Jugendarbeit an Berufskollegs immer wieder mit materieller Hilfe unterstüzt!
Eckhard Debour
Spielleiter
Zwanzig Jahre rohestheater - als wir 1991 mit dem Theaterspiel an der Mies-van-der-Rohe-Schule begannen, war die nachhaltige und in Teilen rasante Entwicklung unseres Theaters sicherlich nicht abzusehen.
Heilige Schlachthöfe - Ein Stück Brecht, der dritte Brecht unserer Stückgeschichte, ist der Versuch seit längerem wieder einmal eine Stückvorlage auf die Bühne zu bringen, die wir uns im Jubiläumsjahr zum Gegenstand gewählt haben, um uns auf theatrale Weise mit der gegenwärtigen Finanz- und Bankenkrise auseinanderzusetzen. Politisches Theater fordert unsere Zeit, eine Zeit, in der Reiche immer reicher und die Demokratie von der Finanz-Wirtschaft abgelöst wird.
In diesem Jahr hat in der Regie der Schauspieler Jan Fredrik Hoffmann wesentlich mitgeholfen- entgegen unserer langjährigen Prinzipien- das Stück als klassisches Sprechtheater mit Hauptrolle auf die Bühne zu bringen. Neben einer Vielzahl an Aufführungen an unserer Spielstätte in der Aula durften wir die Theaterwoche Korbach eröffnen und das Land NRW beim Schultheater der Länder (SDL) in Berlin vertreten. Das fünfte Mal in den vergangenen Jahren, ein wunderbarer Erfolg!
Am 16.07.2012 ist unsere "Diva" Erna Roder im Alter von 89 jahren gestorben. Ihr Auftritt mit Udo Sistermann bei "Oh wie schön ist Panama" war wunderbar, ihr Mitwirken bei "Worte grenzen meine Welt" anrührend, da die, die immer mit hoher Disziplin den Text lernte und beherrschte über Hilde Domins Gedicht "Rückzug", wie ihre Partnerin Dorothea Wüller, Gedächtnislücken erlebte, unter denen sie litt. Wir sind aber mehr, als die uns begrenzenden Worte. Wir hoffen mit ihr, das ihr Lebenssatz, den sie sich für ihre Todesanzeige vorbehalten hat, Wiklichkeit wird: "Hoffnung macht aus einem Ende ein Ziel."
Über Alice im Wunderland kann man sich nur wundern
Büchner zum 200. Todestag
Nachdem wir mit dem rohestheater im vergangenen Jahr unser 20-jähriges Jubiläum erfolgreich mit dem abschließenden Auftritt auf dem Schultheater der Länder in Berlin für das Land NRW gefeiert haben, geht es mit Karl Georg Büchner – Es war einmal…, unserer Eigenproduktion aus Anlass seines 200. Geburtstages, in das einundzwanzigste Jahr unseres Bestehens. Das Büchnerstück ist sicherlich eine Freude für den Spielleiter gewesen, da der zu seinen Lieblingsautoren gehört.
Aufgrund seines Geburtstags haben wir uns diesmal mit seinem Gesamtwerk beschäftigt und Büchner -auch auf die Gefahr der Textlastigkeit hin- selbst auf die Bühne gebracht. Wir trauen ihm zu, dass er uns auch heute noch etwas zu sagen hat und verzichten in der Regel auf aktualisierende Konkretion.
Entstanden ist ein Potpourri aus seinem politischen, literarischen und wissenschaftlichen Werk, mit Auszügen aus seinen Briefen, seinem historischen Steckbrief und dem Sterntalermärchen der Gebrüder Grimm.
Die Bühne, die die Technik gebaut hat, hat einmal mehr ein Übriges dazu beigetragen, dass es bei dieser Eigenproduktion in den Augen vieler und auch in meinen es sich um ein besonders gelungenes Stück des rohestheater handelt. Mit dazu beigetragen hat die Kölner Regisseurin Elena Hackbarth, die erstmals im Rahmen von Kultur und Schule bei uns mitgearbeitet hat. Neben Elena hat auch Ronja Monshausen, ehemalige Schauspielerin im rohestheater, in der Regie geholfen.
Diese Produktion hätte ich gerne auch noch häufiger gezeigt, sie wurde im Laufe der Zeit immer dichter und immer besser.
Unseren Büchner durften wir insgesamt 14 Mal spielen, unter anderem bei der Maskerade in Düsseldorf und in Korbach.
Zu 1914-2014 HURRA
Die Geschichte von 1914 – 2014 HURRA begann während der Theaterwoche Korbach 2013. Axel Mertens, der Spielleiter der Schultheatergruppe pocomania aus Grevenbroich und ich haben sich aus Anlass des kommenden Gedenkjahres 2014 zusammengesetzt und ausgemacht, dass das rohestheater und pocomania jeweils zum 1. Weltkrieg parallel ein Theaterstück entwickeln werden, da im kommenden Jahr über den Weltfriedenstag, also am 21.09.2014 das vom rohestheater und dem Aachener Netzwerk für humanitäre Hilfe und interkulturelle Friedensarbeit e.V. gegründete und organisierte Friedenstheaterfestival bina mira stattfinden wird. Hierzu fuhren wir mit unseren Schülern im September nach Odzak in Bosnien zum Vorbereitungstreffen. Gemeinsam gaben wir dort eine Theaterwerkstatt zum Thema „1914 / 2014 – 100 Jahre Weltkrieg“, die auch den Ausgangspunkt für unsere jeweiligen Produktionen bildete. Die Werkstatt fand überwiegend im Freien und auf der Straße statt und hatte zum Abschluss dort auch eine abendliche Theaterperformance. Die bosnischen und deutschen Jugendlichen kamen aus den verschiedenen Gruppen und die zentrale Verständigung war in Englisch.
Danach besuchten Teile unserer Gruppen gemeinsam die Schützengräben in Ypern und entwickelten das jeweilige Stück, pocomania …als wär’s ein Stück von mir und wir 1914 – 2014 HURRA. Beide setzten sich auf der Basis von Feldpostbriefen mit dem 1. Weltkrieg auseinander, wir weiteten das Thema mit Feldpostbriefen der jüngsten deutschen Kriegsgeschichte auf die Gegenwart hin aus. Beide kamen in Berlin in die Endrunde und pocomania erhielt den Zuschlag auf dem Theatertreffen der Jugend zu spielen. Während beide Produktionen in Korbach jeweils Anfang und Ende des Festivals bildeten, erhielt das rohestheater noch die Einladung zum Landesschülertheatertreffen Maulhelden in Düsseldorf, wo wir weitere sehr gute nordrhein-westfälische Theaterproduktionen zu sehen bekamen. Den Abschluss unserer Spielsaison und vielleicht auch seinen Höhepunkt bildete dann das vom rohestheater mit organisierte internationale Friedenstheatertreffen bina mira. Hier begegneten sich über eine Woche hin 120 Jugendliche und junge Erwachsenen aus Bosnien, Serbien, Deutschland und Frankreich (4 Schüler und 2 Kolleginnen unserer Partnerschule aus Reims) in Theaterwerkstätten zum Thema 1914 . 2014. Gegenseitig zeigten sie sich ihre Produktionen und diskutierten miteinander darüber in anschließenden Nachgefragt- Runden. Da im Stadttheater zur Eröffnung das Stück von pocomania nicht nachbesprochen werden konnte fand auf unserer aus angebrannten Bohlen gebauten „Schützengrabenbühne“ die gemeinsame Besprechung unserer Stücke statt, die aufgrund der z.T. kriegsbetroffenen Teilnehmer aus Bosnien eine besondere Dichte hatte. Ein schöner und sinnträchtiger Abschluss von einem gemeinsamen Theaterjahr.
1914 – 2014 HURRA wurde insgesamt 17 Mal aufgeführt, so oft, wie kaum ein anderes Stück, und wir hätten es aufgrund der nicht nachlassenden Nachfrage sicherlich noch öfter spielen können.
In der Co- Regie arbeiteten Sarah Mertes, die während der Spielzeit den kleinen Bosse zur Welt brachte, und erneut Elena Hackbarth mit. Bei allen dreien wollen wir uns hier noch einmal ganz herzlich bedanken!
Zu Schillernde Räuber
Zum Stück:
Ausgangspunkt der diesjährigen Produktion ist die Pflichtlektüre „Die Räuber“ von Friedrich
Zu Schillernde Räuber:
Ausgangspunkt der diesjährigen Produktion ist die Pflichtlektüre „Die Räuber“ von Friedrich Schiller, die im Zentralabitur im Jahr 2015/16 am Beruflichen Gymnasium für Technik im Land NRW vorgesehen ist.
Nicht nur für viele SchülerInnen eines Berufskollegs mit Schwerpunkt Technik stellt diese Lektüre heute offensichtlich eine enorme Herausforderung dar, der sie sich nur zu gerne durch Nichtlesen zu entziehen versuchen. Das war uns Grund genug, es im rohestheater mal wieder mit einer „Klassikervorlage“ zu versuchen, um zu sehen, ob man sie für die SchülerInnen über den Weg des Spielens mit dem Text auf einer Bühne vielleicht doch interessant und ggfs. auch aktuell werden lassen kann.
Wir sind dabei als Regisseur, Lehrer und Erzieher Schillers Motto aus dem 15. Brief Über die ästhetische Erziehung des Menschen gefolgt, dass da lautet:„…der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ und sind dabei durchaus auch auf einige menschliche Abgründe gestoßen.
Andererseits soll Spielen ja auch Spaß bereiten und nicht nur in den Abgrund führen, weshalb wir die manchmal doch recht merkwürdige dramatische Textvorlage Schillers nicht immer ganz so ernst nehmen konnten. Nebenbei haben wir uns dann auch gedacht, dass wir nicht nur mit der Textvorlage, sondern gerne auch mit typischen Formen des Schultheater augenzwinkernd und selbstironisch spielen wollen, es soll ja schließlich jeder mitspielen dürfen. „Postdramatik“ auf mehreren Ebenen.
Das Textkonzept ist sukzessive während des Arbeitsprozesses unter Beteiligung von Schauspielern und der Regie entstanden und basiert im Wesentlichen auf Friedrich Schillers „Die Räuber“ und diversen Volksliedern.
Zur Bühne:
Die in Eigenarbeit hergestellte Bühne ist rechteckig im Zentrum des Bühnen-raums platziert, die Zuschauer sitzen dicht ebenerdig darum herum. Die Außenwände sind mit schwarzem Bühnenmolton abgehängt, was man in der Größe variieren kann. Die Bühne selbst besteht aus einfachen Holzbohlen, die zu einem Podest von ca. 6,5 m Länge und 3,20m Breite bei einer Höhe von 74 cm in der Mitte des Bühnenraums aufgestellt sind.
In diesem Jahr spielten wir die Schillernden Räuber zwölf Mal und in Korbach beendeten sie frenetisch gefeiert die Woche. In der Regie arbeiteten Sven Fritzsche und Hendrik Kung mit, denen hier noch einmal herzlich gedankt sei.
Unsere Reise nach Berlin
oder: Ein Ritt auf der Rasierklinge des (strukturellen) Rassismus
Ankunft in Berlin auf den letzten Drücker nach einer Panne mit dreieinhalbstündiger Verspätung. Direkt hinein in die Eröffnungsveranstaltung, dann die Präsentation eines Trailers, in dem das rohestheater nach Vorstellung der Festivalleitung in ca. 2 Minuten die Gruppe Akademie der Autodidakten am Ballhaustheater Naunynstraße mit ihrem Stück „One day I went to *idl“ vorstellen sollte und dabei, wenn möglich, noch einen Transfer zu unserem Stück aufzeigt. Also stellte dann immer eine Gruppe des Festivals bei der Eröffnung eine andere Gruppe vor, wir kamen zum Schluss dran. Unsere Idee nach dem Hören des Songs „One day I went to *idl von African Boy:
Wir zeigen das, was auch besungen wird, und drehen dann aber die Geschichte um, der Migrant nicht als „Dieb“, verbannt in die Illegalität der Konsumgesellschaft des Westens, sondern als der, der gibt. Es war klar, dass wir keine Lidltüten wollten und auch keine Tiefkühlhähnchen (schon wegen unseres Stückes) verteilen konnten, die der Protagonist, wie der Song berichtet, gestohlen hatte, weshalb er dann in allen Lidlfilialen Hausverbot erhält und sich in andere Supermärkte begeben muss. Unsere Idee daher: Wir spielen mit folgenden Sätzen das alte Kinderspiel Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? Mit folgendem Text: „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“: „Lidl!“ - „Und wenn er kommt?“: „Dann schließen wir!“.
Der Plural schien uns hier sinnvoll, da er den Verweis über Lidl hinaus auch auf uns alle und das aktuelle Schließen der Grenzen in Europa ermöglicht. Dass wir dann keine „Schokoküsse“ oder „Schokoladenschaumhütchen“ etc. zum Verteilen nehmen konnten, war klar, aber die Wirkung der in der ehemaligen DDR und der BRD so beliebten und begehrten Banane als elementares Lebensmittel musste man schon mit einem Augenzwinkern aufnehmen, was leider grandios misslang. Mit dem Song fahren die Schüler*Innen durch das Publikum mit gespielten Einkaufswagen, ein Bild was später kurioser Weise im Stück „One day I went to idl“ auch vorkommen sollte. Sie verteilten aus Jutebeuteln der Biosupermarktkette, die groß mit dem Logo „Basic“ versehen waren, an die Zuschauerbasis Bananen. Dass sie sich dann die Basic-Jutebeutel über den Kopf ziehen, sollte natürlich nicht an den Ku-Klux-Clan erinnern (seit wann tragen die Biojute von Basic?), sondern das Abtauchen in die Illegalität symbolisieren, die wir dann demonstrativ, zurück auf der Bühne, abnehmen, um die Akademie der Autodidakten herzlich in Berlin auf der Bühne des TTJ willkommen zu heißen. Das alles in ca. 3 Minuten.
Die Folge, schon während der Präsentation verlässt ein weibliches Mitglied der Gruppe demonstrativ den Saal, kommt wieder zurück, und fordert die anderen Mitglieder der Gruppe auf, ihr zu folgen, was dann geschieht. Die Schüler*Innen des rohestheater sind ganz konsterniert, hatten damit nicht gerechnet.
Warum man nicht im Anschluss sich darüber unterhält, etwa fragt: „Was habt ihr da gemacht“, oder „Wie habt ihr das gemeint?“ oder „Kennt ihr die Problematik von Zeichen in bestimmten Kontexten nicht?“, haben wir uns dann schon gefragt, stattdessen: Publikumswirksamer Eklat.
Offensichtlich drohte die Leitung der Gruppe dann damit, dass sie am nächsten Tag nicht spielen würden, forderten den Ausschluss unserer Gruppe usw., was die Festivalleitung des TTJ in der Nacht dazu veranlasste, eine Stellungnahme in Form einer Entschuldigung zu verfassen. Die wurde beiden Gruppen nachts um 2 Uhr zugesandt. Das Ballhaustheater Naunynstraße aus Berlin Kreuzberg nutzte das dazu, stattdessen eine eigene Stellungnahme, die ausdrücklich den eigenen Namen des Theaters benennt, zu formulieren, und die dann in deutlich verschärfter Form der Anklage einen „rassistischen Übergriff“ feststellte, der stattgefunden habe. Damit nicht genug, forderte das Ballhaustheater, dass die Festivalleitung des TTJ Berlin diese Stellungnahme als die eigene ausgeben solle, was diese dann fataler Weise auch tat und 3 Tage in der Form als einzige Stellungnahme im Netz stehen ließ.
Das rief natürlich Empörung bei den Schüler*Innen des rohestheater hervor und sie forderten ein Gespräch mit dem Intendanten und Raum für eine eigene Stellungnahme. In dem Gespräch entschuldigte sich die Intendanz und die Festivalleitung und ermöglichte dann auch fairer Weise unsere Stellungnahme. Hier der Wortlaut am 4. Tag des Festivals:
Wir sind keine Rassisten! Aber wir wissen nun, wie es sich anfühlt, als Rassisten bezeichnet zu werden.
Es tut uns leid, wenn wir durch unsere Kurzpräsentation die Gefühle anderer verletzt haben! Sie war kein „rassistischer Übergriff“, sie war – im Gegenteil – genau anders gemeint. Das ist wie in der griechischen Tragödie insofern tragisch, als es da auch keine Möglichkeit der Erklärung und der Verständigung gibt, sondern nur die Wahl zwischen zwei Wegen, die beide ins Verderben führen.
Wir sind keine Rassisten, aber wir wissen nun, wie Stigmatisierung sich anfühlt und dass das nicht sein darf.
Rohestheater
Unserer über 3 Tage mehrfach vorgetragener Versuch, über den Vorfall ins Gespräch zu kommen, lehnte die Leitung des Ballhaustheaters leider strikt ab, ebenso die Spielleitung. „Mit Dir sprechen wir nicht!“, „Seid ihr aus Aachen?“ „Ja“. „Mit euch sprechen wir nicht.“ Wir versuchten zwischenzeitlich mit dem Hinweis, dass das rohestheater schon 2007 in Berlin Michael Endes „Jim Knopf –oder wer hat Angst vorm schwarzen Mann“ gespielt habe und das Stück damals als Kindertheaterstück mit drei afrikanischen Jugendlichen in den Hauptrollen bewusst in den Kontext der Migration gestellt hatte, eine Brücke zu schlagen und erhielten nur zur Antwort: „Ja, das haben wir auf eurer Internetseite gesehen, Jim Knopf ist auch rassistisch.“ Dass das rohestheater als einzige Festivalgruppe damals durch eine Performance vor dem Brandenburger Tor gegen Abschiebung von Migrant*Innen demonstrierte, konnte leider nicht mehr vermittelt werden, weshalb wir das hier mit 3 Fotos einmal nachholen möchten.