Jubiläumsfilm
10 Jahre rohestheater
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George Taboris Jubiläum und Bertolt Brechts Galilei
10 Jahre rohestheater
Die Spielzeit 2002 bringt uns ein Jubiläum, mit dem „Galilei“ nach Brecht haben wir unsere zehnte große
Produktion auf die Beine gestellt. Dazu passend gibt es (endlich) eine Ehemaligengruppe die unter dem
Namen rohestheater Taboris „Jubiläum“ auf 40 qm² Glasscherben spielt, ganz nach unserem Motto:
„Theater muss weh tun!“

Das vergangene Schuljahr war ein „Erntejahr“ für die Theaterarbeit an der MVDR!

10 Jahre Theater! Jubiläum!
Zehn Jahre Jugend- und Schultheater auf anspruchsvollem Niveau, und immer wieder neu die Angst, es nicht mehr zu schaffen, so beginnt traditioneller Weise in den letzten Jahren die Theatersaison. Da steht ein riesiger Berg vor uns, den wir bewältigen sollen, doch hängt es nicht allein von uns ab, sondern vor allem vom Mittun der SchülerInnen. Und obwohl es so viele Höhen und Tiefen gibt, zuletzt kann man sich auf sie doch immer wieder verlassen. In diesem Jahr hatten wir uns zum zehnjährigen Jubiläum besonders viel vorgenommen, erstmals sollten zwei Inszenierungen erstellt werden. Wie kam es dazu? Auf der alljährlichen Theaterabschlussfete vor den Sommerfereien, zu der auch immer einige Ehemalige erscheinen, wurde erneut über eine Ehemaligengruppe nachgedacht, doch diesmal wurde es wirklich ernst: Endlich Taboris „Jubiläum“ zum Jubiläum! Unterdessen erarbeiteten die gegenwärtigen SchülerInnen, auch besetzt mit liebenswerten Ehemaligen, Brechts „Galilei“. Die parallelen Proben, die vielen Freitage und Wochenenden haben uns ganz schön geschlaucht, aber ohne Anstrengung schmeckt das Leben fad... Bei aller Anstrengung sollte aber auch das gemeinsame Feiern nicht zu kurz kommen, in diesem Jahr gab es eine Jubiläumsfete, zu der mehr als achtzig ehemalige und gegenwärtige Schauspieler z.T. aus ganz Deutschland anreisten. Für Wilfried Schumacher und mich ein wunderbares Wiedersehen! Der Älteste der Ehemaligen, die sich erst „Theater Punkt“ und nun, da der Name schon vergeben war, „rohestheater“ nennen, heißt Michael Vonderbank und stammt noch aus der ersten Besetzung der ersten großen Produktion „Der Besuch der alten Dame heute“ von 1992/93. Die anderen,
Carlo Blatz, Sussan Beigi, Philipp Fröhlig, Elena Kreimermann, Udo Sistermann und Robin Thevis waren zu verschiedenen Zeiten an unterschiedlichen Stücken beteiligt. Die gemeinsame Probenwoche in den Osterferien in der „Casanuova“ in der Toskana wird allen wohl in nachhaltiger Erinnerung bleiben, so entspannt haben wir selten so produktiv gearbeitet. Die hieraus resultierenden Aufführungen in unseren „Schulkatakomben“ auf 40qm² Glasscherben haben sich dem ein oder anderen Zuschauer sicherlich auch nachhaltig im Gedächtnis eingeprägt. Der Auftritt in der alten Fabrikhalle bei Korbach bildete dann einen entscheidenden Höhepunkt für uns und das Festival. A propos Tourneetheater: Ohne die auswertigen Aufführungen vor „fremdem“ Publikum wären wir nie so weit gekommen, sie bilden Ansporn und bieten den dringend nötigen Austausch mit andern Interessierten am Theater. Gleichzeitig bringen sie die Gruppe zusammen, lassen (meistens) ein Wir-Gefühl entstehen. Dass wir in diesem Jahr auch mit dem „Galilei“ in Korbach spielen durften, bildete ebenfalls ein Novum und zeigt die Qualität der Arbeit. Der „Galilei“ wurde neun mal gespielt, „Jubiläum“ bis heute acht mal. Für „Jubiläum“ folgen noch Auffürungen in Aachen im Theater 99 am 2.11.02 und beim internationalen Theatertreff Lörrach am denkwürdigen 9.11. zum Festivalschluss.
Im vergangenen September machte sich die um 8 Personen umbesetzte Galileigruppe (ebenfalls ein Novum) auf zu einer „Tournee“ nach Rumänien - wieder ein Novum. Zusammen mit den „Treuesten“ der KFZ-Abteilung unter tatkräftigem Anschieben Rolf Igels und der liebenswürdigen, nachrechnenden Mitarbeit des Refrendaren Martin Rust fuhren wir - auch noch unsere Partnerschule aus Naumburg/Zeitz in Nürnberg einladend - 27 Stunden im nun vollbesetzten Bus nach Temeswar, wo wir am Deutschen Staatstheater spielen durften, während die Berufsschüler in den Betrieben und Schulen in Caransebes ihr Projekt durchführten. Gemeinsam ging es dann drei Tage später nach Hermannstadt in Siebenbürgen, wo wir vor überfülltem Haus im Gongtheater spielten. Hier begrüßte uns eine wunderschöne Stadt, die von oben bis unten mit dem Plakat der Aufführung der MVDRS beklebt war, wieder ein Novum. Ein kurzer Abstecher zu einer Waldorfschule für Romakinder in Rothberg hat allen dann zutiefst die Armut und den Frohsinn dieser Menschen und den eigenen Wohlstand vor Augen geführt, so dass aus spontaner Hilfsbereitschaft heraus ein dringend benötigter Brunnen in Zukunft den Namen der MVDRS tragen wird, da u.a. die Ehemaligen ihre bisherigen Einnamen dafür gerne spendeten! Ein soziales Projekt, das der Theatergruppe eine vertiefende Perspektive ihres Tuns ermöglicht.

Zu den Stücken:
Galilei
Mit dem Satz „Wir stehen wirklich erst am Beginn.“ endet Brechts Drama. - Recht sollte er behalten, bedenkt man z.B. die zukünftigen, womöglich irreversiblen Manipulationen am menschlichen Genom, die uns aufschrecken lassen. Oder betrachtet man den aktuellen religiösen Fundamentalismus, der seinen Grund in der Heimatlosigkeit des neuzeitlichen Menschen hat, lässt Brecht Galilei dazu sagen: „Die Himmel, hat es sich herausgestellt, sind leer. Darüber ist ein fröhliches Gelächter entstanden.“ (1.Bild). Hier finden sich gegenwärtige Bezüge zu unserem Stück. Der „Galilei“ ist vielleicht Brechts „Lebenswerk“, immerhin arbeitete er an ihm von 1938 bis zu seinem Tod 1956 und erstellte drei Fassungen, die eine Wandlung der Hauptfigur vom Helden zum Antihelden beschreiben und sich an den jeweiligen zeitgenössischen Ereignissen orientierten. Der Held der neuzeitlich-naturwissenschaftlichen Aufklärung - ursprünglich gegen den Dogmatismus der Kirche gewendet - wird zum skrupellos-technischen, egoistischen Wissenschaftler, mit dessen Forschung das neue, materialistische Zeitalter Einzug hält und der laut und ebenfalls dogmatisch in der Figur des Andrea sein Credo einfordert: „Die Wissenschaft kennt nur ein Gebot: den wissenschaftlichen Beitrag.“ (14. Bild). Die diesjährige „Galilei“ Inszenierung knüpft an die vorherige „Gen 3.5“ an und versteht sich als deren Fortsetzung. Vom „Baum der Erkenntnis“ zur Erkenntnis des heliozentrischen Weltbildes ist kein langer Weg, er geht einher mit dem Verlust des Gefühls für die „Heiligkeit“ des Lebens. Unsere alte Bühne, eine von Höhlenmalerei geprägte erdfarbige „Weltscheibe“ hat sich in ein Neongrün verwandelt, die Atmosphäre wird futuristisch- künstlich, Plastik als Ausdruck menschlicher „Schöpfungskraft“ hält Einzug, der „Riss“, der die Bühne in zwei Hälften teilte, ist schärfer geworden, so dass die Balance zu halten schwerer fällt. „Jubiläum“ Ein Schrei nach Leben – kein Grund zu feiern?
Jubiläum
Mit dem Stück „Jubiläum“ kehrt G. Tabori zu den Wurzeln des Theaters als religiöser Kulthandlung zurück und feiert für und mit den Zuschauern auf dem „Friedhof“ ein tragisches Fest des menschlichen Lebens.
Die nationalsozialistische Lebensvernichtung ist im heutzeitigen (Welt-) Gedächtnis zu einer Art pseudoreligiösem Ereignis herangereift, in dem wir unseren Weltschmerz wie in einem Tabernakel aufzubewahren versuchen. Als „schützenswertes Weltkulturerbe“ wird die millionenfache Vergasung unterschiedlichs-ter Menschen zu einem der letzten Tabus sakralisiert. Tabori bricht dies in seinem Stück „Jubiläum“ in der jüdischen Tradition - mit dem Entsetzen Scherze zu treiben - und ermöglicht so Schauspielern und Zuschauern die Katharsis.„Entheiligt“ wird das damalige Geschehen uns heute zu einem existentiellen Nachvollzug, der auf Schuldsprüche verzichtet und uns die unentrinnbare Tragik menschlichen Seins auch von ihrer komischen Seite vor Augen führt. Im hoffentlich authentischen Spiel wird der Schauspieler zum Mittler. Wir durchleben sinnlich erfahrbar – mitleidend – die paradoxe Verfasstheit unseres Daseins und können so mit ihm kurzzeitig - Erlösung ahnend - Frieden schließen.Der Bach-Choral „Den Tod niemand zwingen kunnt“ wird in unserer Inszenierung zum Leitmotiv. Wenn Tabori am Ende des Stückes die Schauspieler miteinander das Brot brechen lässt, wird vielleicht verständlich, warum wir hier J.S. Bachs „Ciaconne“ für Violine und seinen Choral „Christ lag in Todesbanden“ für 4 Stimmen zu Gehör bringen.

`Wir sind halt komische Leut´.