Warte auf Godot!
2007/2008
Im Jahr 2008 stand Becketts bekanntestes Stück mit dem varierten Titel Warte auf Godot! auf dem Programm. Lange schon wollten wir das spielen. Unsere Herangehnsweise auf der Suche nach Aktualisierung blieb zwar nicht unwidersprochen, regte so aber einige Diskussionen an, so wurde Beckett jedenfalls bestimmt noch nicht gespielt.

Als Erläuterung hierzu der Programmhefttext:

Becketts „Warten auf Godot" aus dem Jahr 1952 ist ein Klassiker der Moderne. Zwischen-zeitlich etwas
angestaubt, erlangt er heute, in Zeiten aufblühenden Fundamentalismus, wieder an Aktualität.

Der Titel beinhaltet sowohl das englische Wort „God" als auch das deutsche Wort „Tod". „God" steht für die menschliche Sinnfrage, der „Tod" für die Existenzfrage. Von diesen beiden Grundfragen kommt auch der moderne Mensch, kommen Wladimir und Estragon trotz der Auflösung religiös-kultureller Bindungen nicht los.
In unserer Inszenierung leben beide auf einem mit Bibelseiten beklebten, auf Rindenmulch gestrandeten Floß, das seinen Sinn, zu „schwimmen", verloren zu haben scheint. Pozzo und Lucky, angelegt an die Figuren des Endlosschleifen-Liedes: „Ein Hund kam in die Küche und stahl dem Koch ein Ei...", sind neben dem Boten Godots und dem Baum - ein verkümmerter „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse" (Gen. 2,17) - die weiteren Spiel-figuren. Mehr braucht es nicht für die Darstellung der Tragikomödie des Menschen.

Moses, der Verkünder der 10 Gebote, unternimmt im 2. Gebot, „Du sollst Dir kein Bildnis machen!" (Ex 20,4), den paradoxen Versuch, dem Volk Israel und seiner „Religion" in normativer Sprache zu sagen, dass es seine Glaubens- und Gotteserfahrung nicht zum Gottesbild erstarren lassen darf. Namen sind konkrete Benennungen, können aber auch abstrakte Bilder und Begriffe sein. Die Dinge beim Namen zu nennen (vgl. Gen 2,20) und sich ein Bild zu machen, sind wesentliche Verhaltensmuster des Menschen. Das Gebot sagt den nach Bekenntnis und einer religiösen Dogmatik Verlangenden, dass sie sich kein Bekenntnis geben dürfen, obwohl sie anscheinend ohne es nicht auskommen können. Ziel des Gebots ist es, religiösen Machtmissbrauch, der in der Vorgabe des Bekenntnisses gründet, zu verhindern. Das 2. Gebot fordert also die Gottes-Offenheit, die erst die Freiheit eines jeden Glaubenden und Hoffenden ermöglicht.

Deshalb lautet die Übersetzung des alttestamentarischen Gottesnamens „Jahwe" auch „Ich bin der ich bin da" - Beckett macht daraus „GODOT", was das Dasein auch ins Tod- sein verkehren könnte.-

So wie die Deutung dem Leben immer hinterherhinkt, so verhält es sich auch mit dem Göttlichen und seiner prophetisch und bildhaft Offenbarung. Sie entzieht sich jeder Dogmatisierung oder Verrechtlichung. In unserem Stück werden deshalb Filmausschnitte gezeigt, die das Ritualhandeln der drei geschwisterlichen monotheistischen Religionen, des Juden- und Christentums sowie des Islams, widerspiegeln. Sie stehen immer in der Gefahr, „abzusterben" (wie der Baum im Stück), also in der eigenen Dogmatik umzukommen.
Glaubensgewissheiten können auf Glaubenserfahrungen, nicht aber auf gesetzlich-normativen Festlegungen gründen, was selbst ernannte „Glaubenswächter" überflüssig macht, denn göttliche Offenbarung und Glaube bleiben stets Mysterium, sie lassen sich nicht verordnen oder „bewachen", sie können nur erlebt werden. Deshalb kann der Mensch sie zwar suchen, doch bleibt er letztlich immer nur Wartender oder Erwartender.

Das Leben will ausgehalten sein, wenn es sich offenbaren soll. Die Lebendigkeit des Lebens lässt sich nur
erleben. Selbsttötung, Märtyrertum und Kriege im Namen Gottes treffen nicht auf die Begegnung mit dem Geheimnis des Lebens, mit dem Göttlichen, weil sie nicht warten können. Für Wladimir und Estragon gibt es -Gott sei Dank- keinen passenden Strick...

Am Ende stellt sich so die Frage, ob Becketts „Warten auf Godot" nicht selbst eine Offenbarungsschrift ist?

Diese Frage haben wir dem Publikum insgesamt 15 mal gestellt. Daran kann man sehen, dass die Produktionrecht erfolgreich war. Besondere Aufführungen fanden bei uns in der Schule aus Anlass des Besuchs des Staatssekretärs im MSW Jürgen Winands statt, eine Aufführung in der Nikolauskirche in Aachen war ebenfalls ein besonderes Erlebnis, die Teilnahme an der Theaterwoche Korbach und am Landesschülertheaterfestival inDüsseldorf muss natürlich erwähnt werden.
Herausragend dann die Aufführung im Teatar Kabare´ in Tuzla, Bosnien Herzegowina, aus Anlass des
Jugend-Friedenstheaterfestival "bina mira", das wir hoffentlich durch unseren Besuch mitinizieren konnten. Unsere Interpretation von Becketts "Godot" passte genau in dieses religiös zerrissene Land und erfuhr in der anschließenden Nachbesprechung eine sehr ernste Nachbesprechung. Die Technik war einmal mehr besonders gefordert, in der kleinen Kellerbühne eine entsprechende Bühne aufzubauen, es hat -wie immer- dank Wilfried geklappt. Einen herzlichen Dank an Heinz Jussen, ohne den diese strapaziöse, aber wunderbare Reise nicht möglich geworden wäre!

Auch die Aufführung in unserer niederländischen Nachbarstadt Heerlen im Arcus College im Rahmen der
Euregionale war ein ganz besonderes Erlebnis! Hier arbeiteten wir mit niederländische Schülern zusammen, die unter professionellen Bedingungen einen Film zur Auführung anfertigten. Einen besonderen Dank an Rudi Videc und Rene Houben und die Organisatorin Jutta Kröhnert.

Aus dem Gesagten lässt sich die Arbeitsweise des rohestheater leicht herauslesen. Wir stellen uns letztlich immer die Frage: "Wer ist der Mensch?" und versuchen dazu aktuelle politische, philosophische oder religiöse Aussagenformen auf der Bühne zu finden. Der Titel der nächsten Produktion: "Das Jüngste Gericht", eine Collage, wird diese Vorgehensweise erneut bestätigen.