rohestheater Aachen
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Unsere Reise nach Berlin
oder: Ein Ritt auf der Rasierklinge des (strukturellen) Rassismus

Ankunft in Berlin auf den letzten Drücker nach einer Panne mit dreieinhalbstündiger Verspätung. Direkt hinein in die Eröffnungsveranstaltung, dann die Präsentation eines Trailers, in dem das rohestheater nach Vorstellung der Festivalleitung in ca. 2 Minuten die Gruppe Akademie der Autodidakten am Ballhaustheater Naunynstraße mit ihrem Stück „One day I went to *idl“ vorstellen sollte und dabei, wenn möglich, noch einen Transfer zu unserem Stück aufzeigt. Also stellte dann immer eine Gruppe des Festivals bei der Eröffnung eine andere Gruppe vor, wir kamen zum Schluss dran. Unsere Idee nach dem Hören des Songs „One day I went to *idl von African Boy:

Wir zeigen das, was auch besungen wird, und drehen dann aber die Geschichte um, der Migrant nicht als „Dieb“, verbannt in die Illegalität der Konsumgesellschaft des Westens, sondern als der, der gibt. Es war klar, dass wir keine Lidltüten wollten und auch keine Tiefkühlhähnchen (schon wegen unseres Stückes) verteilen konnten, die der Protagonist, wie der Song berichtet, gestohlen hatte, weshalb er dann in allen Lidlfilialen Hausverbot erhält und sich in andere Supermärkte begeben muss. Unsere Idee daher: Wir spielen mit folgenden Sätzen das alte Kinderspiel Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? Mit folgendem Text: „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“: „Lidl!“ - „Und wenn er kommt?“: „Dann schließen wir!“.

Der Plural schien uns hier sinnvoll, da er den Verweis über Lidl hinaus auch auf uns alle und das aktuelle Schließen der Grenzen in Europa ermöglicht. Dass wir dann keine „Schokoküsse“ oder „Schokoladenschaumhütchen“ etc. zum Verteilen nehmen konnten, war klar, aber die Wirkung der in der ehemaligen DDR und der BRD so beliebten und begehrten Banane als elementares Lebensmittel musste man schon mit einem Augenzwinkern aufnehmen, was leider grandios misslang. Mit dem Song fahren die Schüler*Innen durch das Publikum mit gespielten Einkaufswagen, ein Bild was später kurioser Weise im Stück „One day I went to idl“ auch vorkommen sollte. Sie verteilten aus Jutebeuteln der Biosupermarktkette, die groß mit dem Logo „Basic“ versehen waren, an die Zuschauerbasis Bananen. Dass sie sich dann die Basic-Jutebeutel über den Kopf ziehen, sollte natürlich nicht an den Ku-Klux-Clan erinnern (seit wann tragen die Biojute von Basic?), sondern das Abtauchen in die Illegalität symbolisieren, die wir dann demonstrativ, zurück auf der Bühne, abnehmen, um die Akademie der Autodidakten herzlich in Berlin auf der Bühne des TTJ willkommen zu heißen. Das alles in ca. 3 Minuten.

Die Folge, schon während der Präsentation verlässt ein weibliches Mitglied der Gruppe demonstrativ den Saal, kommt wieder zurück, und fordert die anderen Mitglieder der Gruppe auf, ihr zu folgen, was dann geschieht. Die Schüler*Innen des rohestheater sind ganz konsterniert, hatten damit nicht gerechnet.
Warum man nicht im Anschluss sich darüber unterhält, etwa fragt: „Was habt ihr da gemacht“, oder „Wie habt ihr das gemeint?“ oder „Kennt ihr die Problematik von Zeichen in bestimmten Kontexten nicht?“, haben wir uns dann schon gefragt, stattdessen: Publikumswirksamer Eklat.

Offensichtlich drohte die Leitung der Gruppe dann damit, dass sie am nächsten Tag nicht spielen würden, forderten den Ausschluss unserer Gruppe usw., was die Festivalleitung des TTJ in der Nacht dazu veranlasste, eine Stellungnahme in Form einer Entschuldigung zu verfassen. Die wurde beiden Gruppen nachts um 2 Uhr zugesandt. Das Ballhaustheater Naunynstraße aus Berlin Kreuzberg nutzte das dazu, stattdessen eine eigene Stellungnahme, die ausdrücklich den eigenen Namen des Theaters benennt, zu formulieren, und die dann in deutlich verschärfter Form der Anklage einen „rassistischen Übergriff“ feststellte, der stattgefunden habe. Damit nicht genug, forderte das Ballhaustheater, dass die Festivalleitung des TTJ Berlin diese Stellungnahme als die eigene ausgeben solle, was diese dann fataler Weise auch tat und 3 Tage in der Form als einzige Stellungnahme im Netz stehen ließ.

Das rief natürlich Empörung bei den Schüler*Innen des rohestheater hervor und sie forderten ein Gespräch mit dem Intendanten und Raum für eine eigene Stellungnahme. In dem Gespräch entschuldigte sich die Intendanz und die Festivalleitung und ermöglichte dann auch fairer Weise unsere Stellungnahme. Hier der Wortlaut am 4. Tag des Festivals:

Wir sind keine Rassisten! Aber wir wissen nun, wie es sich anfühlt, als Rassisten bezeichnet zu werden.

Es tut uns leid, wenn wir durch unsere Kurzpräsentation die Gefühle anderer verletzt haben! Sie war kein „rassistischer Übergriff“, sie war – im Gegenteil – genau anders gemeint. Das ist wie in der griechischen Tragödie insofern tragisch, als es da auch keine Möglichkeit der Erklärung und der Verständigung gibt, sondern nur die Wahl zwischen zwei Wegen, die beide ins Verderben führen.

Wir sind keine Rassisten, aber wir wissen nun, wie Stigmatisierung sich anfühlt und dass das nicht sein darf.

Rohestheater

Unserer über 3 Tage mehrfach vorgetragener Versuch, über den Vorfall ins Gespräch zu kommen, lehnte die Leitung des Ballhaustheaters leider strikt ab, ebenso die Spielleitung. „Mit Dir sprechen wir nicht!“, „Seid ihr aus Aachen?“ „Ja“. „Mit euch sprechen wir nicht.“ Wir versuchten zwischenzeitlich mit dem Hinweis, dass das rohestheater schon 2007 in Berlin Michael Endes „Jim Knopf –oder wer hat Angst vorm schwarzen Mann“ gespielt habe und das Stück damals als Kindertheaterstück mit drei afrikanischen Jugendlichen in den Hauptrollen bewusst in den Kontext der Migration gestellt hatte, eine Brücke zu schlagen und erhielten nur zur Antwort: „Ja, das haben wir auf eurer Internetseite gesehen, Jim Knopf ist auch rassistisch.“ Dass das rohestheater als einzige Festivalgruppe damals durch eine Performance vor dem Brandenburger Tor gegen Abschiebung von Migrant*Innen demonstrierte, konnte leider nicht mehr vermittelt werden, weshalb wir das hier mit 3 Fotos einmal nachholen möchten.