Weltenbrand – Geschlechterkampf – Kassandra, das Thema kam im letzten Frühjahr auf, nachdem wir in der Gruppe über die Ursachen der derzeitigen Kriegskonflikte im Nahen Osten nachdachten und dabei u.a. auch die Geschlechterrollen thematisierten. Die Idee, den Roman von Christa Wolf als literarisch zeitlose Grundstruktur für unsere Eigenproduktion zu nehmen, entstand in den Sommerferien während der ersten Treffen.
Die Kriege in Syrien, in Libyen, im Libanon, in Afghanistan, im Jemen, im Irak, in Nigeria und auch im Kongo kommen nicht von ungefähr und haben eine z.T. längere Geschichte, an denen wir im europäischen und nordamerikanischen Westen ebenso wie Russland, Saudi-Arabien, der Iran, die Türkei und Katar in verschiedener Weise beteiligt sind. Neben der Sicherung von Einfluss, Macht und Ressourcen hat sich darüber hinaus ein Kulturkampf entwickelt, der im religiösen Deckmantel versucht neben dem politischen Machtgewinn auch das Verhältnis der Geschlechter in voremanzipatorische Strukturen zurückzudrängen. Das findet Wiederhall nun auch in den nationalistischen rechtsreaktionären populistischen Bewegungen in Ost und West.
Das Thema Emanzipation ist - im Gegensatz zu der Zeit als Christa Wolf 1983 ihren Roman schrieb - für die heutige Schüler*innengeneration nicht unbedingt ein Thema. In der Beobachtung der Prozesse im Nahen Osten, der Gewaltexzesse durch den IS oder durch Nachrichten aus Afrika von Boko Haram und anderer vorwiegend muslimischen Terrorgruppen wurde den Schüler*innen klar, dass Gewalt zum Machterhalt oder Machterwerb immer auch vor allem die Mädchen und Frauen trifft, so wie es auch im Roman beschrieben wird. Ist sie einmal ausgebrochen, gibt es kein Halten mehr. So wie die Demokratie keineswegs selbstverständlich ist und immer neu erkämpft bzw. bewahrt werden muss, so ist es auch mit der Gleichberechtigung der Geschlechter. Dem Versuch -meist skrupelloser Männer- Macht und Besitz an sich zu reißen und jeden Widerstand, jede Kontrolle auszuschalten, wie wir es gerade in der Türkei, Russland oder den USA und auch in einigen europäischen Ländern beobachten können, müsste Einhalt geboten werden.
In dem Zusammenhang haben wir uns Dokumentationsmaterial über die Verschleppung der Jesidinnen durch den IS ebenso angeschaut, wie einen Bericht über die kurdischen Widerstandskämpferinnen der YPJ im Kandil-Gebirge, die sich unabhängig vom Einfluss kurdischer Männer organisieren mit dem Ziel der militärischen Selbstverteidigung, dem Kampf gegen den IS und dem Vorantreiben der Emanzipation in orientalischen Gesellschaften (Der Freiheitskampf der Kurdinnen auf Arte vom 8.3.2016; Der Genozid der Jezidinnen mit dem Titel: Háwar von Düzen Tekkal aus dem Jahr 2014). Aus beiden Dokumentationen finden sich kurze Sequenzen in unserem Stück.
Für uns taten sich da deutliche Parallelen zu Christa Wolfs Roman auf, so dass wir filmisches Dokumentationsmaterial, Stellungsnahmen der Schüler*innen und das literarische Material miteinander verbinden wollten, was sich im Laufe der Arbeit als große Herausforderung erwies.
Die technische Realisation der Verzahnung der andersartigen Materialien und Medien stellte sich ebenso als ein Problem dar, wie die Unterschiedlichkeit der Art der Texte. Darüber hinaus fällt den Schüler*innen das Verstehen des Romans Kassandra von Christa Wolf schwer.
Die Umsetzung des antiken Kriegsthemas in der künstlerischen, gehobenen, monologischen Sprache einer alten, lebenserfahrenen Dichterin in dialogische Interaktion von Jugendlichen war sicherlich ein „Kraftakt“ und benötigt neben den intensiven Proben viele Reflexionsphasen.
Das „Zusammenwachsen“ des unterschiedlichen Materials, die Fallhöhe der Texte aber auch die Entscheidung, das Stück vom Chor her anzulegen, ging nicht einfach von der Hand, sondern machte Mühe. Darüber hinaus forderte die extrem große Gruppe eine Umsetzung, die alle annähernd ausgewogen beteiligt, was ein rollenbezogenes Spiel, wie es der Zuschauer vielleicht gewohnt ist, nicht ermöglicht. Daher haben wir auf eine Eins zu Eins - Besetzung bei den wenigen kenntlich werdenden Rollen verzichtet, die zentrale Hauptperson, Kassandra, wird von vielen in immer wieder wechselnd Konstellationen gespielt.
Eckhard Debour