2015 / 2016
Prima Klima
Prima Klima
Mit unserer Produktion „prima klima“ feiert das rohestheater in diesem Jahr sein 25 jähriges Bestehen, in denen wir 31 Produktionen erarbeitet haben. Das ist für uns in diesem Jahr ein Grund, das rohestheater noch einmal neu zu denken.
Theater als Schulkultur an einem technischen Gymnasium eines Berufskollegs für Technik hat sicherlich seine ganz eigene Entwicklung und Geschichte und ist in der bundesweiten Theaterlandschaft selten zu finden. Haben wir immer schon im Kollektiv gearbeitet, es sind u.a. in jedem Jahr ehemalige Schüler dabei, die den Arbeitsprozess stark prägen, so erfährt diese Herangehensweise in diesem Jahr noch einmal eine andere Variante, die auch im Kulturleben der Schule noch einmal anders verankert wurde.
Sicherlich war das rohestheater immer schon auch politisches Theater, doch bildete dafür das Textmaterial in der Regel den ersten Ausgangspunkt ( sieht man einmal von „1914-2014 Hurra“ ab), die aktuellen politischen Implikationen der Texte zeigten sich dann im Nachhinein.
In diesem Jahr stellten wir uns bewusst die Aufgabe aufgrund der Weltklimakonferenz in Paris uns inhaltlich und politisch mit dem Thema Klimawandel auseinandersetzen zu wollen, ohne dass wir dazu irgendwelche Textvorlagen schon im Auge gehabt hätten, die sich vielleicht für ein Theaterstück eignen würden. Stattdessen starteten wir vor den Sommerferien 2015 mit allen Schülern einer Jahrgangsstufe eine Projektwoche zum Thema Klimawandel, allerdings mit der Zielrichtung versehen, ggfs. Material für ein zukünftiges Theaterstück zu sammeln. Unterschiedlichste Projektgruppen arbeiteten so z.B. mit „Müll“, mit wissenschaftlicher Recherche im Internet, mit Videoaufnahmen für einen Film, mit tagespolitischen Informationen, mit der energietechnischen Analyse und Optimierung unseres Schulgebäudes und mit literarischem Material, um dem Thema auf die Spur zu kommen, was dann in einer Abschlusspräsentation in der Schule ausgewertet wurde.
Auch wenn die diesjährige Schell-Jugendstudie zu etwas anderen Ergebnissen gelangt, so fiel uns doch erneut wieder auf, dass unsere Jugendlichen und jungen Erwachsenen gerade auch an einer technischen Schule mit lokaler, landes- und bundesweiter sowie globaler Politik wenig am Hut haben und in ganz anderen privat-digitalen Welten unterwegs sind. Von politischem Interesse und Informiertsein oder gar von einer eigenen politischen Position sind sie in der Regel weit entfernt.
Es stellte sich also die Aufgabe, genau das mit den Jugendlichen zu erarbeiten, so dass die theaterästhetische Auseinandersetzung erst einmal hinten an stand. Wir sind dazu auf die bundesweit beachtete Garzweiler-Demonstration im rheinischen Braunkohlerevier gegangen, das direkt vor unserer Haustür liegt, wir haben gegen das belgische Atomkraftwerk in Thiange in unserer Nachbarschaft in Belgien demonstriert und hatten vor, nach Paris zur Weltklimakonferenz zu fahren, doch wurde die Demonstration dort vom französischen Staat aufgrund der Attentate in Paris verboten, so dass wir auf die lokale Demonstration in Aachen ausweichen mussten. Für viele Schüler war es das erste Mal, dass
sie auf einer Demonstration waren und sie konnten dabei feststellen, dass es vor allem ältere Menschen sind, die sich dort engagieren.
In der Zwischenzeit haben wir während der Proben immer wieder Diskussionsrunden gebildet und über das Thema uns informiert und diskutiert. Es wurden Filme gesehen, ein Maschinenbaustudent mit seinem solarbetrieben Wasseraufbereitungsprojekt für wenig entwickelte Länder und ein Professor für Klimatologie der RWTH Aachen eingeladen, um vielfältige Anregungen zu erhalten.
Die eigentliche Theaterarbeit von „prima klima“ stützt sich vor allem auf eigene Schülertexte und wurde zunehmend durch literarisches und dokumentarisches Material ergänzt. Dabei war es uns wichtig, die unterschiedlichen Positionen und die eigenen Haltungen der Schüler auch zum Thema zu machen. Das Ganze fügt sich dann langsam in den eigenen theaterästhetischen Prozess des rohestheater, der Wert darauf legt, alle zu beteiligen und „Statisten“ zu vermeiden. Die Chor- und Tanzpartien sind dementsprechend von großer Bedeutung und bilden neben den Schülerdialogen einen entscheidenden Schwerpunkt der Arbeit.
Schon der Titel zeigt Ambivalenzen auf, die wir bei der Suche nach Textmaterial bewusst mit einbezogen haben. Als literarisches Grundgerüst kristallisierte sich Schritt für Schritt das Märchen vom Fischer und seiner Frau heraus, es kamen Textauszüge aus Goethes Faust, dem Prometheus und dem Zauberlehrling hinzu. Betroffenenberichte aus aller Welt und Songs verschiedenster Herkunft komplettieren das Textkonzept. Vieles weitere wurde z.T. ausprobiert und wieder verworfen.
Die Bühne ist in diesem Jahr so konzipiert, dass sie gleichzeitig Projektionsfläche ist, so dass ein Spiel im Film bzw. Bild ermöglicht wird. Gleichzeitig ist die schiefe Ebene ein Bild für das Kippen des Geschehens.
Die Kostüme sind in diesem Jahr sehr aufwendig aus weißer second-hand Kleidung erarbeitet. Sie sind mit Naturfarben aufwendig gefärbt worden und mit Abfallresten appliziert. Angeregt haben diese Gestaltung umgewandelte Müllprodukte aus der Projektwoche. Thematisch greifen sie das Grimms Märchen als roten Faden auf.
Herausgekommen ist bei alle dem hoffentlich ein Theaterstück, das den Versuch unternimmt, politisches Bewusstsein und Handeln mit dem Theaterspielen auf der Bühne so zu verbinden, dass sich daraus ein eigenes theaterästhetisches Produkt ergibt.
Eckhard Debour
Schauspieler*innen:
Patrick Achtelik, Philipp Achten, Franzi Bergrath, Matthias Dötsch, Saskia Fritzen, Teresa Graf, Till Gutmann, Denise Heup, Justine Fee Kessler, Jost Köbernik, Leonardo Korinth, Luise Krings, Niklas Medvey, Max Mertens, Anna Müller, Max Rehne, Marek von Salzen, Lukas Schröder, Christian Spiekermann, Johanna Ungermann, Giulia Valter, Gabriel Wirtz, Jonas Wolf
Technik:
Tobias Bartlog, David Bonk, Tobias Frings, Christin Grooz, Jonas Kähler, Yannic Kitten, Marco Meuser,Theresa Mohr, Nicole Mrozik, Christoph Pelzer, Daniel Windeck
Technikleitung:
Manuel Kleen, Jens Richard, Wilfried Schumacher
Organisation:
Theresa Mohr
Programmheft:
Lukas Friese
Foto/Video:
Wilfried Schumacher
Regie:
Patrick Achtelik, Eckhard Debour, Gerhard Gumprecht, Till Gutmann, Hendrik Kung, Sarah Mertes,
Jacob von Byern
Kostüm:
Ulrike Gutmann, Andrea Kafka, Nicole Mrozik
Film:
Nico Tournay, Andrea Kafka
Wir danken:
den Eltern der Schüler, der Schulleiterin der Mies- van-der-Rohe Schule, Ute Dreser, den Hausmeistern Jürgen Döring und Wilfried Schumacher, Dorette Christfreund und der Klasse 12 aus der Fachoberschule für Gestaltung im BkGuT für das Plakat, der LAG Arbeit-Bildung-Kultur NRW e.V. und Kultur und Schule NRW.
Plakat
Programmheft
Unsere Reise nach Berlin
Ankunft in Berlin auf den letzten Drücker nach einer Panne mit dreieinhalbstündiger Verspätung. Direkt hinein in die Eröffnungsveranstaltung, dann die Präsentation eines Trailers, in dem das rohestheater nach Vorstellung der Festivalleitung in ca. 2 Minuten die Gruppe Akademie der Autodidakten am Ballhaustheater Naunynstraße mit ihrem Stück „One day I went to *idl“ vorstellen sollte und dabei, wenn möglich, noch einen Transfer zu unserem Stück aufzeigt. Also stellte dann immer eine Gruppe des Festivals bei der Eröffnung eine andere Gruppe vor, wir kamen zum Schluss dran. Unsere Idee nach dem Hören des Songs „One day I went to *idl von African Boy:
Wir zeigen das, was auch besungen wird, und drehen dann aber die Geschichte um, der Migrant nicht als „Dieb“, verbannt in die Illegalität der Konsumgesellschaft des Westens, sondern als der, der gibt. Es war klar, dass wir keine Lidltüten wollten und auch keine Tiefkühlhähnchen (schon wegen unseres Stückes) verteilen konnten, die der Protagonist, wie der Song berichtet, gestohlen hatte, weshalb er dann in allen Lidlfilialen Hausverbot erhält und sich in andere Supermärkte begeben muss. Unsere Idee daher: Wir spielen mit folgenden Sätzen das alte Kinderspiel Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? Mit folgendem Text: „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“: „Lidl!“ - „Und wenn er kommt?“: „Dann schließen wir!“.
Der Plural schien uns hier sinnvoll, da er den Verweis über Lidl hinaus auch auf uns alle und das aktuelle Schließen der Grenzen in Europa ermöglicht. Dass wir dann keine „Schokoküsse“ oder „Schokoladenschaumhütchen“ etc. zum Verteilen nehmen konnten, war klar, aber die Wirkung der in der ehemaligen DDR und der BRD so beliebten und begehrten Banane als elementares Lebensmittel musste man schon mit einem Augenzwinkern aufnehmen, was leider grandios misslang. Mit dem Song fahren die Schüler*Innen durch das Publikum mit gespielten Einkaufswagen, ein Bild was später kurioser Weise im Stück „One day I went to idl“ auch vorkommen sollte. Sie verteilten aus Jutebeuteln der Biosupermarktkette, die groß mit dem Logo „Basic“ versehen waren, an die Zuschauerbasis Bananen. Dass sie sich dann die Basic-Jutebeutel über den Kopf ziehen, sollte natürlich nicht an den Ku-Klux-Clan erinnern (seit wann tragen die Biojute von Basic?), sondern das Abtauchen in die Illegalität symbolisieren, die wir dann demonstrativ, zurück auf der Bühne, abnehmen, um die Akademie der Autodidakten herzlich in Berlin auf der Bühne des TTJ willkommen zu heißen. Das alles in ca. 3 Minuten.
Die Folge, schon während der Präsentation verlässt ein weibliches Mitglied der Gruppe demonstrativ den Saal, kommt wieder zurück, und fordert die anderen Mitglieder der Gruppe auf, ihr zu folgen, was dann geschieht. Die Schüler*Innen des rohestheater sind ganz konsterniert, hatten damit nicht gerechnet.
Warum man nicht im Anschluss sich darüber unterhält, etwa fragt: „Was habt ihr da gemacht“, oder „Wie habt ihr das gemeint?“ oder „Kennt ihr die Problematik von Zeichen in bestimmten Kontexten nicht?“, haben wir uns dann schon gefragt, stattdessen: Publikumswirksamer Eklat.
Offensichtlich drohte die Leitung der Gruppe dann damit, dass sie am nächsten Tag nicht spielen würden, forderten den Ausschluss unserer Gruppe usw., was die Festivalleitung des TTJ in der Nacht dazu veranlasste, eine Stellungnahme in Form einer Entschuldigung zu verfassen. Die wurde beiden Gruppen nachts um 2 Uhr zugesandt. Das Ballhaustheater Naunynstraße aus Berlin Kreuzberg nutzte das dazu, stattdessen eine eigene Stellungnahme, die ausdrücklich den eigenen Namen des Theaters benennt, zu formulieren, und die dann in deutlich verschärfter Form der Anklage einen „rassistischen Übergriff“ feststellte, der stattgefunden habe. Damit nicht genug, forderte das Ballhaustheater, dass die Festivalleitung des TTJ Berlin diese Stellungnahme als die eigene ausgeben solle, was diese dann fataler Weise auch tat und 3 Tage in der Form als einzige Stellungnahme im Netz stehen ließ.
Das rief natürlich Empörung bei den Schüler*Innen des rohestheater hervor und sie forderten ein Gespräch mit dem Intendanten und Raum für eine eigene Stellungnahme. In dem Gespräch entschuldigte sich die Intendanz und die Festivalleitung und ermöglichte dann auch fairer Weise unsere Stellungnahme. Hier der Wortlaut am 4. Tag des Festivals:
Wir sind keine Rassisten! Aber wir wissen nun, wie es sich anfühlt, als Rassisten bezeichnet zu werden.
Es tut uns leid, wenn wir durch unsere Kurzpräsentation die Gefühle anderer verletzt haben! Sie war kein „rassistischer Übergriff“, sie war – im Gegenteil – genau anders gemeint. Das ist wie in der griechischen Tragödie insofern tragisch, als es da auch keine Möglichkeit der Erklärung und der Verständigung gibt, sondern nur die Wahl zwischen zwei Wegen, die beide ins Verderben führen.
Wir sind keine Rassisten, aber wir wissen nun, wie Stigmatisierung sich anfühlt und dass das nicht sein darf.
Rohestheater
Unserer über 3 Tage mehrfach vorgetragener Versuch, über den Vorfall ins Gespräch zu kommen, lehnte die Leitung des Ballhaustheaters leider strikt ab, ebenso die Spielleitung. „Mit Dir sprechen wir nicht!“, „Seid ihr aus Aachen?“ „Ja“. „Mit euch sprechen wir nicht.“ Wir versuchten zwischenzeitlich mit dem Hinweis, dass das rohestheater schon 2007 in Berlin Michael Endes „Jim Knopf –oder wer hat Angst vorm schwarzen Mann“ gespielt habe und das Stück damals als Kindertheaterstück mit drei afrikanischen Jugendlichen in den Hauptrollen bewusst in den Kontext der Migration gestellt hatte, eine Brücke zu schlagen und erhielten nur zur Antwort: „Ja, das haben wir auf eurer Internetseite gesehen, Jim Knopf ist auch rassistisch.“ Dass das rohestheater als einzige Festivalgruppe damals durch eine Performance vor dem Brandenburger Tor gegen Abschiebung von Migrant*Innen demonstrierte, konnte leider nicht mehr vermittelt werden, weshalb wir das hier mit 3 Fotos einmal nachholen möchten.